Carmen de Apicalá

Anfang April wurde ich vom Ex-Ehemann meiner mittlerweile Ex-Gastmutter abgeholt und verbrachte eine Nacht auf dessen Finca. Alberto ist Rinderzüchter und hatte mich bereits im letzten Jahr zu sich und seiner neuen Frau aufs Land eingeladen und jetzt sollte es endlich soweit sein. Ich kannte Alberto bisher nur flüchtig, hatte ihn das letzte Mal auf der Hochzeit seines Sohnes (gemeinsamer Sohn mit meiner Ex-Gastmutter) Anfang November 2008 gesehen. Er hatte mir damals geholfen und mir für die Hochzeit weiße Kleidung gesponsort, denn der Wunsch der Braut war es, dass alle männlichen Hochzeitsgäste (inklusive Bräutigam) in Weiß erscheinen. Außerdem schenkte er mir bereits im Oktober einen 'Sombrero', um in der hiesigen 'Tierra caliente' (heißes Tiefland) stets einen kühlen Kopf zu bewahren.

Wie verabredet, jedoch nicht wirklich typisch für Kolumbianer, stehen Alberto und María Lucía (Ehefrau) am Samstag vormittag pünktlich um 10 Uhr mit ihrem Geländewagen vor meiner Haustür. Wir holen die beiden deutschen Mädels Lea und Melina ab und verlassen Girardot in Richtung Osten. Die Fahrt wird nur 20 Minuten dauern. Wir überqueren den Fluss Sumapaz, der die natürliche Verwaltungsgrenze zwischen den Departamentos Cundinamarca (Girardot) und Tolima darstellt. Wir fahren die asphaltierte Straße entlang in Richtung Carmen de Apicalá, bekommen den Ort aber nicht zu Gesicht, weil wir plötzlich links abbiegen, um den Eingang zu Albertos Finca zu passieren. Der unbefestigte Weg führt durch Weiden, auf denen zum Teil gewaltige Baumriesen stehen, welche den Rindern in der Mittagshitze Schatten spenden.


Das Gelände ist leicht hügelig. Wir passieren die Melkstation und erreichen das auf einem Hügel erbaute Landhaus. Ich bin hin und weg von den Rasenflächen. Die Grünanlagen sehen sehr gepflegt aus. Hier muss es einen Rasenmäher geben, denke ich mir. Wir steigen aus dem Auto und betreten die überdachte Terrasse. Drei große weiße Hängematten lachen uns an. Wir schreiten einige Stufen hinab auf eine erweiterte unbedachte Terrassenfläche und blicken auf einen See, dessen Ufer nur etwa 50 Meter von der Terrasse entfernt liegt. Die umgebende Landschaft besteht aus weiten Weideflächen, die am Horizont von einer Gebirgskette begrenzt werden. Wir genießen die Ruhe. Unterhalb der Terrasse grast eine Ziege und wir werden durch Rascheln auf einen Leguan aufmerksam.


Während María Lucía und zwei Hausangestellte mit der Zubereitung des Mittagessens beginnen, zeigt uns Alberto unsere Nachtquartiere. Auf eigene Faust spazieren wir durchs Haus und sind begeistert von der Einrichtung. Die Leidenschaft zu Rind und Pferd bzw. zur Natur ist unübersehbar. Wir schmeißen uns in die Hängematten und schlürfen 'Salpicón', einen leckeren Früchtemix. Alberto und María Lucía machen uns auf die vielen verschiedenen Kolibri-Arten aufmerksam, die mit ihren leicht gebogenen Schnäbeln aus einem am Schlafzimmerfenster angebrachten Behälter mit rotgefärbtem Zuckerwasser trinken. Unsere Gastgeber zeigen uns ihre umfangreiche Vogelnest-Kollektion. Die Vogel- und Insektenfauna wird rund ums Haus mit kleinen Leckereien verwöhnt.


Wir werden zum Essen ins Haus gerufen. An einem großen Esstisch, an dessen einem Ende die Gastgeber sitzen und am anderen Ende die drei deutschen Gäste, wird ordentlich aufgetischt. Von den beiden freundlichen Hausangestellten werden mehrere Gänge serviert und wir dürfen uns selbst auffüllen. In gemütlicher Runde philosophieren wir fleißig über Sitten und Gebräuche in Kolumbien und Deutschland. Anschließend steht erst einmal Entspannen auf dem Programm. Ich stürze mich in die nassen Fluten des großen Schwimmbeckens und freue mich über die unerwartet tiefe Wassertiefe. Nachdem ich mich zum Trocknen auf einen Liegestuhl schmeiße und von fiesen winzigen Moskitos zerstochen werde, schmiere ich mich mit Moskitospray, meinem treuen Begleiter, ein.

Alberto hatte uns am Vormittag vorgeschlagen eine kleine Bootstour auf dem See zu unternehmen und trotz der bereits gesichteten 'Babillas' (Kaimane/ kleine Krokodile) wollen wir seinen Vorschlag nun auch in die Tat umsetzen. Er reicht mir ein Paddel und auf gehts - an Mangobäumen vorbei - hinab zum See. Wir lassen das Boot zu Wasser, deponieren jedoch vorerst unsere Kameras am Ufer, da wir nicht zu 100 Prozent überzeugt sind, dass uns das Boot trocken über den See trägt. Zu dritt im Boot sitzend und bereits in Uferferne äußert Melina mehrmals lautstark ihre Skepsis, welche sich letztendlich allerdings als unbegründet erweisen wird. Langsam schreiten wir über den See, beobachten die auf den Weideflächen grasenden Pferde und Rinder, schwarze und weiße Vögel sowie einen Jungvogel, der anscheinend gerade aus dem Nest gefallen war und sich am Astwerk entlanghangelt. Ich bilde mir ein eine Schlange gesehen zu haben, welche ihren Kopf aus dem Wasser streckte und paddele ruhig weiter. Die Kaimane schwimmen scheu ans Ufer, möchten leider nicht für unsere mittlerweile an Bord geholten Kameras posieren und tauchen ab. Wir genießen weiterhin die Ruhe.

Nun soll es im Jeep ins Gelände gehen. Barfuss steige ich ein. Alberto fährt über die Weiden und informiert uns über seine Rinderrassen. 800 Rinder, 500 Schafe und 25 Pferde nennt er sein Eigen. Wir staunen über eine großohrige, aus Indien stammende Rinderrasse, die im Vergleich zu europäischen Rinderrassen weniger zartes Fleisch liefert. Regelmäßig steigen Alberto oder Melina aus dem Jeep, um die die einzelnen Weideflächen trennenden Zauntore zu öffnen bzw. zu schließen. Alberto meint, dass er in Hinblick auf den Artenschutz die hügeligen waldbestandenen Flächen nicht rodet und in Absprache mit weiteren Landeigentümern, die ähnlich handeln, ein Verbund von Rückzugs- bzw. Erhaltungsflächen für die einheimische Tier- und Pflanzenwelt geschaffen wird. Wir steigen alle aus dem Jeep aus und Alberto verdeutlicht uns die Weite seines Landes. Über uns fliegen Papageien. Der Blick in die Weite ist gigantisch und ich fühle mich frei. Alberto zeigt und erklärt uns, dass auf verschiedenen Hügeln am Rande seines Landes vier seiner Arbeiter mit ihren Familien wohnen, die mithilfe von Funktechnik miteinander kommunizieren und darauf aufpassen, dass niemand unbefugt das Land betritt sowie Acht geben, dass im Sommer schnell auf natürlich auftretende Buschbrände reagiert wird. Zu meiner Freude weiß Alberto viel über die einheimische Pflanzenwelt zu berichten.

Zurück im Landhaus versammeln wir uns zum Abendbrot auf der unüberdachten Terrasse. María Lucía hatte extra für uns deutsche Bockwürste eingekauft, welche sie auf dem Grill grillte - super lecker. Außerdem liegen ein riesiges Steak, eine Kartoffel, selbstgemachte Nudeln und Salat auf den Tellern vor mir. Das Essen ist einfach ein Genuss und heute esse ich nicht nur, um zu überleben. Zur Verdauung gibt es ein kleines Glas Orangenlikör. Auf dem Land schmeisst man sich vergleichsweise früh in die Federn und so verabschieden sich Alberto und María Lucía gegen 21 Uhr mit folgendem typischen Satz: "Esta es su casa!" (Dies ist Euer Haus!). Alles bleibt weiterhin hell erleuchtet. Der Tisch wird nur vom Geschirr befreit, die Dekoration bleibt liegen. Die Hausangestellten scheinen auch nicht mehr da zu sein. Nachdem ich einige Bahnen im Schwimmbecken ziehe, philosophiere ich gemeinsam mit Lea und Melina am Schwimmbecken bzw. in den Hängematten über unsere Kolumbienaufenthalte sowie die Zukunft. Ein entspannter, interessanter und erlebnisreicher Tag neigt sich dem Ende zu und kurz nach Mitternacht gehe ich ab in die Heia. Ich entscheide mich bei offenem Fenster ohne Klimaanlage sowie ohne Ventilator zu schlafen und höre miteinander kommunizierende Rinder. Irgendwann schlafe ich dann doch ein.


Pünktlich um 9 Uhr Sonntag früh erwartet uns ein reichhaltiges Frühstück. Wir sitzen wieder am Esstisch im Inneren des Hauses, unsere Mägen füllen sich mit Rührei (plus Tomaten und Zwiebeln), kleinen Bockwürsten, Brot, Saft und Milchkaffee. Während Lea die Zeit bis zur Abreise dazu nutzt, fleißig Fotos von Haus und Garten zu schiessen, spielen Melina und ich das 'Juego de la rana' (Frosch-Spiel), einem Holztisch, auf dessen Oberfläche verschiedene Löcher eingearbeitet bzw. zwei Metallfrösche befestigt sind. Es gilt Metallringe in die Löcher bzw. die Mäuler der Metallfrösche zu werfen. Je nach Lage eines Loches bzw. Schwierigkeitsgrad werden verschiedene Punkte erzielt. Leider haben wir nicht viel Zeit zum spielen und brechen gegen 10:30 Uhr zur Abreise auf. Wir bekommen noch kurz eine Python zu Gesicht und machen uns auf in Richtung Girardot. Wir beschließen Alberto und María Lucía nochmal zu besuchen.



>04/05 Abril 2009<