Rätselhaftes Adventsmarkt-Wochenende

Am Vortag des ersten Advents treffen wir uns gegen 10:30 Uhr am reichlich gedeckten Frühstückstisch von Gastgeberin Ines in der Beuchaer Straße im Leipziger Stadtteil Anger-Crottendorf. Bevor wir uns auf die Brötchen stürzen, werden allerdings noch Adventsgeschenke verteilt, und so wandern hauptsächlich Adventskalender von einer Hand in die andere. Kaum sitzen wir am Tisch, fliegen auch schon – wie könnte es bei unserer Konstellation auch anders sein – die verbalen Fetzen. Letzteren gehen kleine Kaufetzen voraus, die sich ungefragt aus meinem Mund entfernen und auf dem Ärmel meiner Sitznachbarin Franny landen, welche mich – merklich angewidert – schreiend auffordert, nicht mehr in ihre Richtung zu gucken, während ich kauend erzähle. So gilt meine Aufmerksamkeit nun der mir direkt gegenübersitzenden Ines, die sich sofort auf alle Viere begibt, um den Fußboden von den kürzlich heruntergefallenen Brotkrumen zu säubern, was bei den anderen Frühstücksteilnehmern schallendes Gelächter auslöst. Dank unserer kuriosen Eigenarten geht also mal wieder ordentlich die Post ab.

Unsere gesättigten Leiber werfen wir nun auf die wenige Meter entfernte Couch, auf welcher wir uns Gedanken über die heutige Freizeitgestaltung machen. Zunächst steht der Besuch des Escape Rooms 'Honeckers Albtraum' auf dem Programm, dessen Tür sich in knapp einer Stunde für uns öffnen wird. Wie immer trödeln wir vor uns her, sodass wir nach dem Verlassen der Wohnung erschrocken feststellen, dass wir es aus Zeitgründen nicht mehr fußläufig bis zur Escape Room-Challenge schaffen werden. Während wir an einer Straßenbahn-Haltestelle auf einen Bus warten und wir Marcel dazu überreden können, nicht in den direkt neben uns stehenden Papierkorb zu pinkeln, begegnet uns eine Frau, die einen zusammengerollten grasgrünen Teppich auf der rechten Schulter trägt, der Ines' Wohnzimmerteppich zum Verwechseln ähnlich sieht. Ob die Wohnung unserer Gastgeberin gerade ausgeraubt wird, fragen wir uns, hängen dieser Frage aber nicht lange nach, da mit mehreren Minuten Verspätung jetzt endlich der Bus eintrifft. Wir haben Glück und der Busfahrer winkt uns ohne zu bezahlen weiter. Sind wir hier in Kuba oder was? Nein, sind wir nicht, denn nach zwei Stationen steigen wir aus und stehen vor der Russischen orthodoxischen^^ Gedächtniskirche und wenige Schritte später vor der deutschen Nationalbibliothek.

Fast pünktlich erreichen wir den Kohlrabi-Zirkus, eine Kuppel-Architektur, die laut Aussage unserer Stadtführerin Ines von den Leipzigern auch liebevoll 'Bürgermeisters Titten' genannt wird. Unser Anlaufpunkt soll heute die linke Titte sein, welcher wir uns entlang des großen Parkplatzes langsam nähern. Ein freundlicher Schirmmützenträger öffnet uns die Tür, führt uns durch einen mit unzähligen Signaturen an den Wänden versehenen Flur und heißt uns schließlich zur Escape Room-Challenge Willkommen. Nachdem er uns mit den Spielregeln vertraut macht und wir uns für die Variante mit sechs Tipps entscheiden, begleitet er uns in den benachbarten Rätselraum. Inmitten der mit DDR-Möbeln eingerichteten vier Wände fühlen wir uns um drei Jahrzehnte zurückversetzt. Am MuFuTi sitzend, macht uns unser Spielleiter auf die an der Zimmerdecke angebrachte Kamera aufmerksam, über die er uns während des Spiels beobachten wird. Mithilfe eines Walki-Talkies können wir bei Bedarf mit ihm kommunizieren. Vor dem fiktiven Hintergrund, dass Genosse Erich uns an der Flucht aus unserem eigenen Wohnzimmer hindern will, wird es nun unsere Aufgabe sein, binnen 60 Minuten den für die Flucht erforderlichen Schlüssel zu finden. Hierzu ist das Lösen mehrerer Rätsel notwendig und so erwarten wir mit Spannung das aus dem Radio ertönende Startsignal. Neugierig stellen wir alles auf den Kopf und rätseln, was das Zeug hält. Als Escape-Room-Anfänger stellen wir fest, dass es so leicht nicht ist, um die Ecke zu denken. Die Rätsel haben es wirklich in sich und so nehmen wir über das Walki-Talkie die uns zur Verfügung stehenden Tipps in Anspruch. Als der im Vorfeld angekündigte Countdown einsetzt, grübeln wir gerade über die letzte Zahlenkombination, welche wir schließlich erfolgreich enträtseln, sodass wir rechtzeitig den Schlüssel in den Händen halten und die Wohnzimmertür öffnen können. Die Aussage des Spielleiters, wonach wir angeblich 58 Minuten für die Flucht benötigt haben, wagen wir zu bezweifeln, kommt es uns doch so vor, als wolle man uns mit einem positiven Gefühl flüchten lassen. Die genaue Zeit soll uns allerdings egal sein, denn wir hatten einen aufregenden Aufenthalt und sind um eine interessante Erfahrung reicher. Der Besuch eines anderen Escape Rooms wird vermutlich nicht lange auf sich warten lassen. Ines kann sich sogar mit dem Gedanken anfreunden, sich im 'Carrie'-Raum einschließen zu lassen. Wir werden sehen.

Um zum Weihnachtsmarkt zu gelangen, entscheiden wir uns für die S-Bahn und so schreiten wir die Treppenstufen zur Haltestelle hinab. Für den Kauf von Fahrkarten bleibt keine Zeit, denn wir beweisen perfektes Timing und steigen in die eintreffende Bahn. Geiz ist auch Ende 2017 noch geil und so schmieden wir, clever wie wir sind, den Plan, uns am Fahrkartenautomat blöd zu stellen. Dem Schaffner gegenüber geben wir uns als ortsfremd und damit inkompetent in Sachen Fahrkartenautomaten-Benutzung aus und tippen munter und absichtlich orientierungslos auf dem Bildschirm herum. Ich vermute, dass der Mann in Uniform eine solche Szene nicht zum ersten Mal sieht und werde den Eindruck nicht los, dass er uns die Unwissenheit nicht abkauft. Allerdings scheint auch er nicht der Hellste im Umgang mit dem Automaten zu sein, kommt er doch angeblich nicht von hier. Letztendlich bleibt es bei der obligatorischen Verwarnung. Ob es an unserem überzeugenden Auftritt lag oder der freundliche Bahn-Stewart einfach nur keine Lust auf Konfrontation hatte, werden wir wohl nie erfahren. Als vermeintliche Idioten verlassen wir die Bahn.

Am Wilhelm-Leuschner-Platz angekommen, rückt Ines noch schnell ihr Höschen zurecht, bevor wir uns ins innerstädtische Weihnachtsgetümmel stürzen. Es sind weniger die wenigen Schritte, die wir zurückgelegt haben, als vielmehr die fruchtigen Düfte, die uns das Gefühl geben, dass es uns dürstet, und so gönnen wir uns eine Tasse Quitten-Punsch, Heidelbeer-Punsch und Heiße Schokolade. Bei den doch ziemlich kalten Temperaturen wärmen die Getränke gut durch und sind zudem sehr appetitlich. Weniger appetitlich, aber doch recht amüsant, ist das Thema, über welches wir uns unterhalten, nachdem wir auf Kais Abwesenheit zu sprechen kommen. Wer meint, dass das Thema Intimrasur bzw. damit möglicherweise einhergehende Hautschäden wenig unterhaltsam ist, der irrt, und so erzählen Marcel und Franny von Bekannten, die aufgrund eines eingewachsenen Haares ein halbes Jahr krankgeschrieben waren. Was es alles gibt, resümieren wir, und schwenken vom geistigen Konsum durchaus interessanter Erzählungen zum Konsum, der physisch erlebbar ist.

Auf der Suche nach einem grünen Parka klappern wir die umliegenden Bekleidungsgeschäfte ab und werden nach einer Stunde schließlich fündig. Shoppen macht hungrig und so gönnen wir uns im Gewusel der Massen Fisch im Bierteig oder die klassische Thüringer Bratwurst. Heruntergespült wird die Mahlzeit anschließend mit einem herrlich duftenden Erdbeer-Punsch. Am Stollen-Stand bietet eine freundliche Verkäuferin Stollen mit Marzipan, Mandeln oder Nougat feil. Zwar stößt die Frau durch ihren Vorschlag, beim ungeraden Stollenpreis aufzurunden, wodurch sie einige Cent mehr in ihre Kasse spült, bei Kundin Ines auf wenig Gegenliebe, doch hält es sie und Franny nicht vom Kauf des leckeren Gebäcks ab. Nachdem wir auch in der Lebkuchen-Bude für kräftigen Umsatz sorgen, statten wir dem Finnischen Dorf einen Besuch ab und lassen uns ein mit geräuchertem Lachs gefülltes Roggenbrötchen schmecken. Mit der Straßenbahn fahren wir zurück zu Ines' Wohnung, wo wir es uns auf der Couch gemütlich machen. Wenig überraschend tun wir uns mit einer Entscheidung für das abendliche Fernsehprogramm schwer. Unsere Wahl fällt schließlich auf einen Film, welchen wir anfangs dank einer mangelhaften Internetverbindung nur mit Unterbrechungen sehen können. Umso mehr freuen wir uns auf Carsten und Valeska, mit denen wir am Sonntagmorgen gemeinsam frühstücken wollen.

Unglaublich, Carsten und Valeska haben doch tatsächlich ohne uns angefangen! Naja, wir sind ja selbst Schuld, denn Pünktlichkeit ist nicht unsere Stärke. Obwohl, die meisten von uns waren Punkt 10 Uhr frühstücksbereit. Nur Marcel, der Wohnzimmerschläfer, kam nicht aus den Federn, sodass die Couch besetzt war. Schließlich konnten wir den Langschläfer doch zum Aufstehen bewegen und ließen uns Ines' selbstgemachtes Chili con carne schmecken, bevor wir uns voll und ganz den Verkaufstalenten Carsten und Valeska widmen. Da uns die feil gebotenen Produkte nicht überzeugen, switchen wir zum 'Sterntaler' und begleiten das kleine blonde Mädchen auf ihrer abenteuerlichen Suche nach ihren vom König verschleppten Eltern. Als ihre Reise zu Ende ist, gehen auch wir auf die Suche, und zwar nach frischer Luft. Bei fallenden Flocken spazieren wir durch den Lene-Voigt-Park, Ines' Laufrevier, bevor unser rätselhaftes Adventsmarkt-Wochenende schließlich sein Ende nimmt.

> 2./3. Dezember <