Pfingsten in Beuster

Mit ein paar Minuten Verspätung trete ich in die Pedalen und treffe kurz vor halb Eins am Seehäuser Friedhof als vereinbartem Treffpunkt auf Ines, Marcel und Kai. Sie stehen schon in den Startlöchern und können es kaum erwarten, loszuradeln. So schwingen wir uns nach der Begrüßung und einem Austausch über die jeweilige mittägliche Stärkung in die Sättel, nicht ahnend, dass wir heute Nacht an diesen Ort zurückkehren werden, um über das Friedhofsgelände zu schlendern. Da der Wind heute aus südlichen Richtungen weht, kommen wir auf unserer Fahrt Richtung Beuster schnell voran.


Tatsächlich erreichen wir die sogenannte FDJ-Kreuzung, an der es von der alten B189 nach Esack geht, ohne ein Stück Plastik aus Fahrradspeichen pulen zu müssen. Auch ein Wildschein-Duo, wie es vor zwei Jahren unweit vor uns die Straßenseite wechselte, bekommen wir heute nicht zu Gesicht. An der FDJ-Kreuzung erinnern übrigens das mit Granitsteinen in die Fahrbahn eingelassene Emblem der Freien Deutschen Jugend sowie der Schriftzug „Strasse der Jugend“ an die von 1958 bis 1960 stattgefundene Wische-Aktion.

In Beuster angekommen, steuern wir direkt den Ortsteil Werder an. Unser Ziel ist der Rosengarten, in welchen Carmen Marquardt am heutigen Pfingstsamstag im Rahmen der Kultourspur einlädt. Da wir zu früh sind, öffnen wir spontan das Tor zu Annettes und Jürgens kleinem Elb-Idyll, um uns am Ufer der Alten Elbe die Zeit zu vertreiben. Zwar sitzen wir hier in sehr windexponierter Lage, doch verbringen wir bei angeregter Unterhaltung ein paar schöne Stunden. Letztlich wird es uns doch zu böig, und wir verlassen das ansonsten idyllische Fleckchen Erde, nachdem Ines ihr Revier markiert hat. Da sich eine große Gruppe von Kanuten vom herausfordernden Wind nicht davon abhalten lässt, den kleinen Strom entlangzupaddeln, dauert es allerdings eine Weile, bis sie - von der Wasserseite unbeobachtet - dazu Gelegenheit hat.

Nachdem wir Annette und Jürgen eine Nachricht hinterlassen, radeln wir die Auffahrt zum Rosencafé hinauf. Leckeren Kuchen wollen wir hier essen, doch der anlässlich der Livemusik von 'PR-Duo' geforderte Eintrittspreis macht uns einen Strich durch die Rechnung. Unentschlossen darüber, ob wir die 5 Euro bezahlen wollen, schieben wir unsere Räder ein Stück weiter in die Sonne. Unter dem Blauglockenbaum entscheiden wir uns schließlich gegen einen Besuch des hiesigen Sommerfestes, und radeln schließlich zum Imker, der heute ebenfalls Gäste empfängt.

Das Grundstück von Herrn Spillner liegt direkt am Deich. Dass es nicht eingezäunt ist, macht sofort sympathisch, und so gelangen wir nach dem Ablegen unserer Räder direkt an die Kaffeetafel. Einige Gäste genießen gerade Kaffee und Kuchen, während andere mit dem Deichimker vor einem Bienen-Schaukasten stehen. Wir bedienen uns am Kuchenbuffet und nehmen an einem Holztisch in der Sonne Platz. Ines kann ihre Begeisterung für das blümchenbemusterte Kaffeegeschirr nicht zurückhalten. In Grenzen hält sich hingegen die Freude über das, was auf dem Teller liegt. Nachdem die sehr übersichtlichen Kuchenstücke verputzt sind und der Gastgeber Ines' Lob für das besagte Geschirr entgegennimmt, schreiten wir zum Bienen-Schaukasten. Angefangen vom unteren Bereich, dem Brutraum, bis zum oberen Bereich, dem Honigraum, erfahren wir Interessantes zum Aufbau eines Bienenstocks. Hinter der Scheibe wimmelt es von den sozial lebenden Insekten. Jede hat ihre Aufgabe, schafft Nahrung ran, lagert diese ein, putzt oder legt Eier.

Weiter geht es zu den richtigen Bienenstöcken, die unweit entfernt stehen und das Zuhause Tausender Nektar- und Pollensammler sind. Weniger als zwei Meter beträgt der Abstand zwischen uns und den sechs - auch Beute genannten - Honigbienenbehausungen, als Herr Spillner einen der Deckel öffnet, um uns die einzelnen Bienenwaben zu zeigen. Im Insektenvolk bleibt es währenddessen vergleichsweise ruhig, von uns wird offensichtlich keine Notiz genommen. Wir staunen, als wir erfahren, dass die Honigbienen die Wabengebilde selbst errichten. Unglaublich, wie präzise die sechseckigen Zellen gebaut sind. Hier sind Perfektionisten am Werk. Als Baumaterial dient Wachs, welches die Bienen mit den Wachsdrüsen ihres Körpers produzieren.

Ohne Opfer eines Bienenstichs geworden zu sein, folgen wir Herrn Spillner zum Wachsschmelzer. In diesen legt er Waben, um Wachs zu ernten. Später erfahren wir, dass er das Wachs verschickt und als Tauschobjekt Mittelwände erhält, welche er wiederum als Wabengrundlage verwendet. Nachdem wir für ein Zeitungsfoto in die Kamera lächeln, führt uns der Deichimker in seinen Keller zur Honigschleuder. In diese hängt er zwei Honigwaben ein und demonstriert uns und zwei weiteren Kultourspur-Besuchern, wie die infolge der Drehung entstehende Fliehkraft den Honig aus den Waben schleudert. Auf seine Frage, ob wir frisch geschleuderten Honig mit nach Hause nehmen möchten, erhält der Deichimker aus aller Munde ein 'Ja', und so schauen wir zu, wie der Honig fließt und Glas für Glas füllt.

Zurück im Garten erschrecken wir, als wir auf die Uhr schauen. Über zwei Stunden ließ uns der Deichimker an seiner 'Honig-Welt' teilhaben. Wir bedanken uns für die Gastfreundschaft und sind froh, um eine interessante Erfahrung reicher zu sein. Mit neu getanktem Wissen radeln wir ein Stück am Deich entlang und steuern anschließend den Hofladen der Familie Schuster an. Während Marcel auf der Außenbank ein großes Stück Torte verdrückt, verdrücke ich mich auf die Toilette. Weiter geht es zur Kirche St. Nikolaus, einem weiteren Veranstaltungsort im Rahmen der Kultourspur. Bei unserer Ankunft ist das hiesige Konzert bereits vorbei, und so halten wir uns nur wenige Minuten im Gotteshaus auf.

Da wir einiges an Proviant mitführen, machen wir auf dem Deich ein Picknick, bevor wir erneut nach Werder fahren, um nochmal im Rosengarten vorbeizuschauen. Die Band baut gerade ab, als wir den Hof betreten, der nur noch eine Handvoll Gäste zählt. Es scheint, als schließe das Café gleich, doch begrüßt man uns freundlich und fragt uns, ob wir an Gegrilltem interessiert seien. Wir bejahen und nehmen nach einer kurzen Fotosession unter einer Birke sowie einem Spaziergang durch den Garten unweit des Grills Platz. Zwei freundliche Herren tischen ordentlich auf und so lassen wir uns Bratwürste, Steaks und krosses Toastbrot schmecken. Einer der Herren setzt sich zu uns, als er erfährt, dass Marcel und Kai in Kürze in die Türkei fliegen werden. Als jahrelanger Türkei-Urlauber schwärmt er von dem Land, in welchem man einander mit „Şerefe!“ zuprostet. Er rät dazu, bei beabsichtigten Käufen vor Ort unbedingt zu feilschen. Es gehöre einfach dazu, zunächst etwa ein Drittel des verlangten Preises zu bieten.

Umgeben von freundlichem Service und einer sympathischen Café-Inhaberin fühlen wir uns wohl, staunen allerdings nicht schlecht, als uns die Rechnung präsentiert wird. Wir hätten im Vorfeld besser nach den Preisen fragen sollen, denken wir uns, denn das Grillgut schlägt mit 3,50 Euro pro Steak ordentlich zu Buche. Mit vollem Magen und leerer Brieftasche radeln wir nach einem erlebnisreichen Tag durch die Dunkelheit nach Seehausen. Einen spontanen Zwischenstopp legen wir am Friedhof ein und besuchen die Gräber unserer Lieben, bevor wir uns verabschieden und für das erste Juli-Wochenende wiederverabreden.