San Agustín

Mitte März ging es nach San Agustín, einem beschaulichen Ort im Süden des Departamentos Huila. Mit seinen umliegenden archäologischen Ausgrabungsstätten, welche zu den außergewöhnlichsten Zeremonialzentren Lateinamerikas zählen, handelt es sich bei dieser auf 1700 Meter gelegenen kleinen Gemeinde um eines der meist besuchten Reiseziele Kolumbiens.
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Wir verlassen den Busbahnhof in Girardot am Donnerstagabend gegen 21 Uhr in Richtung Espinal, um dort in einen Bus Richtung Neiva, Hauptstadt Huilas, umzusteigen. In Espinal kaum aus dem Bus gestiegen, werden wir auch schon von einem Typen angesprochen, der uns anbietet, vorbeifahrende Busse an den Straßenrand zu winken. Damit verdiene er sein Geld, meint er im Laufe der etwa halbstündigen Wartezeit. In Espinal herrscht auch desnachts munteres Treiben. So sitzen wir am Straßenrand nahe einer Tankstelle und verlassen uns auf die Erfahrung unseres Freundes im geeigneten Bus an den Straßenrand winken. Ein Typ des in Kolumbien fast an jeder Straßenecke anzutreffenden uniformierten privaten Sicherheitspersonals, Nachtwächter der benannten Tankstelle, plaudert munter auf uns ein, interessiert sich für unsere Reiseabsichten und klärt uns über die lokale Sicherheitslage auf. Er meint, dass man gut auf sein Hab und Gut aufpassen sollte, unser Wink-Freund beispielsweise hätte angeblich eine zeitlang wegen Diebstahl im Knast gesessen. So ganz geheuer war uns unser Freund von Anfang an wirklich nicht. Misstrauen begleitet leider einige von uns, weil wir gelesen hatten, dass auf der Strecke Bogotá-San Agustín einige Busfahrer mit Dieben zusammenarbeiten. Der Nachtwächter erzählt uns von einer Auseinandersetzung mit der kolumbianischen Guerilla, die er vor 10 Jahren als Polizist in der Nähe von Espinal hatte. Gemeinsam mit 10 Kollegen wurde er von Guerilleros entführt und nach einer Nacht wieder freigelassen. Seine Kollegen seien in den folgenden Tagen ebenfalls freigelassen worden. Allerdings seien im Vorfeld bei einem Schusswechsel zwei seiner Kollegen ums Leben gekommen. Das ganze habe international viel Aufsehen erregt, er selbst war angeblich im Fernsehen zu sehen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass er auf diese Erfahrung stolz ist. Weiterhin meint er, dass er eine Frau kennt, dessen zwei Söhne Guerilleros sind, der dritte sei Polizist. Dann kommt gegen 22 Uhr endlich ein Bus, der auch hält (viele Direktbusse halten nicht in Espinal). Ich drücke unserem Wink-Freund 1000 Pesos in die Hand und setze mich im Gang auf meinen Rucksack, weil keine Sitzplätze mehr frei sind. Der Assistent des Busfahrers will uns für die Fahrt nach Neiva 15000 Pesos abknöpfen, ich meine aber, dass 12000 angemessen sind, wir hatten uns vorher erkundigt. Mit uns kann er also nicht das große Geld machen. Ich erinnere mich zu spät an die mittlerweile unansehnlich gewordenen Bananen in meinem Rucksack und setze mich auf einen nach kurzer Zeit frei gewordenen Sitzplatz.

Gegen 1 Uhr kommen wir auf dem Busbahnhof in Neiva an. Wir setzen uns kurz auf eine Bank und schauen dem reisenden Rentner auf der Hinterbank beim Schlafen zu. In Kolumbien wickelt sich reisetechnisch viel in der Nacht ab, viele Menschen sind auf den Beinen, warten auf Busse zur Weiterfahrt. Jemand spricht uns an und meint, dass so gut wie sofort ein Bus Richtung Pitalito fährt. Wir schenken ihm Glauben, kaufen die Fahrkarten zu je 12000 Pesos, und warten letztendlich doch bis etwa 2 Uhr auf die Weiterfahrt. Dafür werden wir aber mit einem super bequemen Reisebus entschädigt, in dem ich richtig wegnicke, bis mich die Frau auf dem Nachbarsitz anstößt, um mir die Ankunft in Pitalito mitzuteilen. Etwas benommen steige ich aus dem Bus. Kaum einen Fuß auf pitalitoischen Boden gesetzt, spricht uns ein Taxifahrer auf unsere Reiseroute an. Für 5000 Pesos pro Person würde er uns nach San Agustín fahren. Wir willigen ein. Ein bisschen mulmig wird mir, als ich auf dem Beifahrersitz bereits einen Typen sitzen sehe. Ich setze mich neben ihn, meine drei Reisebegleiter versuchen es sich auf dem Rücksitz bequem zu machen. Die Fahrt wird eine dreiviertel Stunde dauern. Der langhaarige Typ an meiner Seite ist sehr gesprächig, kommt gerade aus Ibagué von einem Imker-Seminar. Der Naturliebhaber namens Robinson fragt mich nach meinem Aufenthalt in Kolumbien, sei selber sozial engagiert und erzählt mir von weißen kolumbianischen Eichen. Nachdem wir auf der Nachbarspur Pferde sichten, überholen wir ein mit drei Männern besetztes Motorrad. Gegen 6 Uhr kommen wir in San Agustín an. Robinson bietet sich uns für das Wochenende als Reiseführer an, empfiehlt uns im Lokal 'Rebeca' zu frühstücken und schmiert mir ohne Ankündigung eine anfangs brennende Creme auf meine Wunde an der Hand, die ich mir ein paar Tage zuvor zugezogen hatte. Wir verabschieden uns von Robinson und betreten die Herberge 'El Jardín Casa Colonial', in der uns eine freundliche Señorita fast alle Zimmer zeigt und anbietet, da die Herberge so gut wie nicht belegt ist. Letztendlich entscheiden wir uns für ein großes Zimmer in der ersten Etage, zwar ohne Privatbad, aber mit Blick auf die Innenstadt, besser gesagt Dorfmitte. Man informiert uns über die Bereitstellung von warmem Wasser ab morgens 6:30 Uhr. Wir tanken eine Mütze Schlaf.


Bereit zur Entdeckung der archäologischen Schätze der Kultur San Agustín verhandeln wir mit der etwas in die Jahre gekommenen einheimischen Touristenführerin namens Olga über die Preise für die Ausflüge in die nähere Umgebung. Die Routen für das Wochenende werden bestimmt. Am Freitag steht ein Ausritt auf dem Programm. Währenddessen sich Olga auf den Weg macht, die Pferde zu besorgen, verkosten wir Rebecas Säfte und hauen uns für 5000 Pesos mit Suppe, Huhn, Reis und Bohnen die Mägen voll. Gestärkt machen wir uns auf zum vereinbarten Treffpunkt mit den Pferden. Den wildesten Gaul unter meinem Hintern führt uns unser Guide zu allererst zu der archäologischen Stätte 'El Tablón', in der wir zum ersten Mal präkolumbianischen Hinterlassenschaften der Kultur San Agustín Auge in Auge gegenüberstehen. Die fünf Steinskulpturen nahe eines kleinen ethnographischen Museums sind schnell erklärt und wir schwingen uns wieder in die Sättel.


Die Pferde tragen uns zur Fundstätte 'La Chaquíra'. Die grüne Landschaft ist beeindruckend, man blickt hinab in den Canyon des Magdalena-Flusses. Nebelschwaden durchziehen die Lüfte, man sieht auf der anderen Seite des Canyons Wasserfälle, die sich aus dem Bergmassiv ergießen. Unser Guide klärt uns über die in das Vulkangestein geschlagenen Motive, u.a. die sogenannte 'Göttin der Chaquíra' sowie einen scheinbar faulenzenden Bären, auf. Diese beiden anthropomorphen bzw. zoomorphen Figuren zeigen in Richtung Osten. Man vermutet, dass sich die Figuren bewusst an bestimmte Himmelsrichtungen orientieren.


Weiter gehts hoch zu Ross zu den Fundorten 'La Pelota' und 'El Purutal'. Die Figuren der letztgenannten Fundstelle sind die einzig kolorierten in Rot, Schwarz, Gelb und Weiß. Umgeben sind die Figuren von bearbeiteten Grabplatten. Wir treten den Rückritt an, auf dem ich beinahe von meinem Gaul abgeworfen werde. Wir reiten an Zuckerrohr-Feldern sowie Lulo- und Bohnen-Feldern vorbei.


Am Samstag werden wir gegen 8 Uhr zu einer Jeep-Tour abgeholt. Heute stehen die abgelegeneren Fundstätten auf dem Programm. Uns begleitet eine Spanierin, die mit Kunsthandwerk handelt. Ich stelle fest, dass mein Akzent ihrem ähnelt. Unser Fahrer heisst Marino, hat allerdings keine Lizenz zum Reiseführer, wie er meint. Entweder Fahrer oder Reiseführer. Verstehen muss man das nicht, aber so sind die Regeln, erklärt er uns. Wir fahren zur Magdalenaenge 'El Estrecho', der Stelle, an der der Fluss mit etwa 2 Metern am schmalsten ist. Der Río Magdalena entspringt in der Zentralkordillere nahe San Agustíns. Wir nehmen kein Bad.


Wir halten im Ort Obando, wo wir uns einige Grabstätten sowie ein kleines archäologisches Museum ansehen, in welchem Kunsthandwerk angeboten wird. Außerdem findet man hier diejenigen Fundstücke wie Keramiken, die nicht von Grabräubern gestohlen oder in die Hauptstadt gebracht wurden. Ein alter Mann spricht mich am Eingang des Geländes an und meint, dass er der Gründer des Ortes sei. Er begleitet mich auf Schritt und Tritt und bittet mich mehrmals um einige Pesos für eine angebliche Augenoperation. Mir wird gesagt, dass er verrückt sei. Ich gebe ihm kein Geld.


Wir fahren die unbefestigte Straße weiter und stoßen auf drei Campesinos (Bauern), die damit beschäftigt sind, einen Abschnitt der Straße von herabgestürztem Steinmaterial freizuräumen. Wir packen mit an, denn selbst für unseren anpassungsfähigen Geländewagen scheint das ein schwer zu überwindendes Hindernis. Gröbere Felssteine werden aus dem Weg geräumt und ich denke, dass die Campesinos sicher noch eine ganze Weile brauchen werden, um das austretende Hangwasser umzuleiten. Zuckerrohr und Kaffee dominieren in dieser Region als Anbaukulturen. Die hiesigen Bauern leben hauptsächlich von der Bearbeitung des Zuckerrohrs zu 'Panela' (dunkler Zucker in Blockform), einem Grundnahrungsmittel der Kolumbianer.


Die nächste Attraktion ist der 'Alto de los Ídolos', eines der wichtigsten Besucherziele. Wir zahlen 25000 Pesos für den Eintritt, der Preis schliesst den Eintritt für den am folgenden Tag beabsichtigten Besuch des Hauptparks ein. Wir betreten ein großflächiges Areal mit gepflegtem Grün. Ich freue mich über die satte Rasenfläche. In Girardot sieht man sowas kaum. Der Gärtner begleitet uns und erzählt uns einiges zu den Fundstücken. Die einzelnen Statuen und Gräber sind - wie auch schon an den anderen Fundstellen - jeweils überdacht und eingezäunt. Meine Anfrage mit dem Gärtner Golf zu spielen, wird leider verneint.


Nachdem wir in dem Ort San José de Isnos Suppe und gegrilltes Hühnchen mit Reis essen, besichtigen wir weitere Steinskulpturen und Gräber auf dem 'Alto de las Piedras'.


Jetzt machen wir uns auf den Weg zu zwei Wasserfällen. Wir decken uns kurz mit schokoladischem Proviant ein und erreichen den Salto de Bordones, einen Wasserfall mit 400 Metern Tiefe, ein imposantes Spektakel. Wir fahren zum Salto de Mortiño, staunen auch hier über die herabstürzenden Wassermassen und blechen anschließend 1000 Pesos, weil der Blick auf den Wasserfall von einem Privatgrundstück aus erfolgt.


Auf größtenteils asphaltierter Straße geht es nach einer erlebnisreichen Tour zurück nach San Agustín. Auch an diesem Abend essen wir wieder kein 'Cuy' (gegrilltes Meerschweinchen), sondern ziehen die nordische Spezialität namens Hamburger vor. Wir stürzen uns ins San Agustinische Nachtleben und verweilen eine Weile im 'La Casa de Tarzan'. Eine rustikale Einrichtung mit Hängematten und gedämpfter gemütlicher Atmosphäre umgibt uns. Bei lateinamerikanischen Klängen trinke ich Coca-Tee.

Nach einem ordentlichen Frühstück aus Rührei, Milchkaffee und Gebäck geht es am Sonntag zum archäologischen Hauptpark. Wir begeben uns auf einen zwei Kilometer langen Fußmarsch bergaufwärts. Das Museum gibt allgemeine Informationen zu der Bearbeitung der Steinskulpturen und beherbergt eine Reihe von Figuren.


Im Nieselregen schauen wir uns am Parkeingang einige Kunstfertigkeiten an, beschließen aber die lokale Wirtschaft erst nach dem Besuch des Parks anzukurbeln. Der Parque Arqueológico ist in verschiedene Abschnitte unterteilt. Wir spazieren den Rundgang entlang und schießen fleißig Fotos der zusammengetragenen archäologischen Funde. Bei der 'Fuente de Lavapatas' handelt es sich um einen im Jahre 1937 entdeckten Zeremonienplatz. In das felsige Flussbett sind Darstellungen von Menschen, Reptilien und Amphibien geschlagen worden. Wir machen Rast in einem kleinen Lokal in familiärer Atmosphäre und bestellen Huhn - was auch sonst. Wir nutzen die Zeit der Essenszubereitung und besichtigen den 'Alto de Lavapatas'.


Der weite Blick in die Landschaft ist mal wieder ein Genuss. Nachdem wir unsere Mägen gefüllt haben, verlassen wir den Park und kaufen ein paar Souvenirs am Parkeingang. Es bleibt nicht viel Zeit, denn wir sind mit einem Mann verabredet, dessen Beruf darin besteht, seine fünf Pferde zu verleihen. Zu sechst schwingen wir uns auf eine sogenannte 'Zorra' weiter bergaufwärts. Zahlreiche Schlaglöcher auf dem befestigten Weg machen dieses Transport-Erlebnis zu einem kleinen Abenteuer.
Wir haben Mitleid mit dem Pferd namens Princesa, setzen unsere Tour aber kräftig fort. Eine am Straßenrand laufende Frau wird später auch Mitleid mit der Princesa haben. Wir fahren an einzelnen Höfen vorbei und verweilen etwa eine Stunde an einem Billiardtisch. Gemeinsam mit unserem kolumbianischen Begleiter spielen wir eine Runde nach kolumbianischen, zwei Runden nach nicht-kolumbianischen Regeln. Die Möglichkeit zum 'Tejo' spielen (eine Art Boule) bietet sich auf dieser Strecke leider nicht.


Den letzten Abend nutzen wir zum Schlendern in San Agustíns Souvenirsmeile. Es ist ein kleiner gemütlicher Ort mit sehr freundlichen Einwohnern. Zu Abend essen wir in einem Lokal, das uns den Eindruck vermittelt, dass wir uns mitten in der Wohnstube der Familie befinden. Am Montagmorgen treten wir mit jeder Menge interessanter Eindrücke die Heimfahrt an.

>19/23 Marzo 2009<

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