Brockenlauf


Bis Stendal fahre ich mit dem Rad, vom Barleber See über Oschersleben (Bode) bis Darlingerode nutze ich drei Hopper-Tickets, und die letzten Kilometer bis Ilsenburg schwinge ich mich wieder aufs Rad. Das ist mein Plan. Um rechtzeitig zur beginnenden Nachtruhe um 22 Uhr in der Ilsenburger Turnhalle anzukommen, beginnt meine Anreise gegen 12:45 Uhr. In Ziegenhagen angekommen, liegt genau eine Stunde Radfahrt hinter mir. Es ist kaum windig, sodass ich gut vorankomme. Den kurzen Zwischenstopp beim Bäcker hätte ich allerdings doch besser nicht gemacht, denke ich mir, als ich auf dem Weg durch die Stendaler Innenstadt eifrig in die Pedalen trete. Schließlich gilt es am Bahnhof noch ein Ticket zu lösen. Eilig suche ich das Bahnhofsinnere auf und drängele mich am Automaten freundlich vor. Es sind nur noch wenige Minuten bis zur Abfahrt des Zuges und der Automat will keinen meiner 5-Euro-Scheine akzeptieren. Verärgert trage ich mein Rad die Treppe hinunter und wieder hinauf, schaffe es in allerletzter Minute in die S-Bahn und suche sofort die Zugbegleiterin auf. Diese weist mich zunächst zurecht, händigt mir jedoch freundlicherweise das gewünschte Hopper-Ticket zum Normalpreis aus. Dank der angeregten Unterhaltung mit einer betagten Radfahrerin, die beim Passieren von Zielitz über die Abraumhalden des Kaliwerkes staunt, sind die 50 km bis zur Haltestelle Barleber See gefühlt in wenigen Minuten zurückgelegt.


Statt mein beidseits beladenes Rad über die Brücke zu hieven, trage ich es über die Gleisen und fahre in Richtung Barleber Seenlandschaft. Den Barleber See I lasse ich links liegen, denn ich ziehe vor, im Barleber See II zu baden, der laut meiner Recherche eine natürlichere Badeumgebung bietet. Nach einigem Suchen finde ich schließlich eine sonnige Stelle und begebe mich ins Wasser, um Sekunden später einen Schwan mit zwei großen Küken zu entdecken, die direkt auf mich zusteuern. Das war ein kurzes Vergnügen, denke ich, als ich mit reichlich Schlick unter den Füßen wieder Land gewinne. Wenn zwischen mir und dem Schwan kein Meter Höhenunterschied läge, würde er mich sicherlich vom Ufer verjagen. Sein Revier verteidigend, harrt er mit seinen Jungen geduldig aus, bis ich mir schließlich wieder die Kleider überwerfe und von dannen ziehe. Da mir die anderen vegetationsfreien Uferbereiche aufgrund fehlender Sonne nicht zusagen, entscheide ich mich letztendlich für ein Bad im Barleber See I, den ich heute nur mit einem anderen Badegast teilen muss.

Zurück an der Bahn-Haltestelle, steige ich in die S-Bahn, erwerbe ein weiteres Ticket und steige in Magdeburg-Buckau um. Mit Verspätung setzt sich der HarzElbeExpress in Bewegung. In Oschersleben löse ich das dritte Hopper-Ticket und steige in einen verspätet ankommenden HEX. Hätte ich dem Zugpersonal doch besser zugehört, ärgere ich mich, als ich beim erforderlichen Umstieg in Halberstadt nicht rechtzeitig das richtige Gleis finde und sich der HEX Richtung Darlingerode ohne mich auf den Weg macht. Ob ich es noch rechtzeitig zur Nachtruhe schaffe? Gedanklich sehe ich mich schon auf dem Rad durch das dämmernde Harzvorland fahren. Drei Bahnangestellte raten mir, die nächste Verbindung zu nehmen. Die Wartezeit im 2011 in der Kategorie Kleinstadtbahnhof als 'Bahnhof des Jahres' ausgezeichneten und seit 2014 den Namen 'Kulturbahnhof' tragenden Bahnhof vertreibe ich mir mit einem Döner, dessen Fleisch bereits kalt ist. Zwar gilt mein Ticket nur bis Darlingerode, doch fahre ich bis Ilsenburg weiter, denn auf eine Radfahrt in einer dunklen, mir unbekannten Gegend habe ich heute keine Lust. Außerdem würde das zu viel Zeit fressen.

Am Ilsenburger Bahnhof frage ich nach dem Weg zur Turnhalle, die ich kurz vor 22 Uhr erreiche. Das Licht ist bereits aus, doch durch die von draußen hereinallende Straßenbeleuchtung erkenne ich neben der Tür einen Stapel aus vier Gymnastikmatten, während die anderen Matten in der kleinen Halle verteilt liegen, teilweise bereits mit schlafenden Körpern beschwert. Meine Isomatte brauche ich also nicht ins Freie kramen. Einige Sportler befinden sich sicherlich im Haus der Vereine, wo Doppel-Olympiasieger Walter Cierpinski heute einen Vortrag hält. Froh darüber, noch ein freies Plätzchen bekommen zu haben, dusche ich, bevor ich drei bayrischen Dialekt sprechenden Sportlern die verbliebenen drei Matten reiche. Eine schnarchlose Nacht wäre auch zu schön gewesen, denke ich mir, als ich wenig später ein lautes Schnarchen vernehme. Ich sehe, wie eine Frau mit ihrem Schlafsack in den Umkleideraum umzieht. Kurz danach verlässt der Mann neben mir seinen Schlafplatz. Im Auto schläft es sich vermutlich ruhiger.

Trotz Ohropax nicht wirklich ausgeschlafen begebe ich mich gegen 8 Uhr zum Rathaus, um meine Startunterlagen abzuholen. Den eigens mitgebrachten Kabelbinder werde ich nicht brauchen, stelle ich fest, als ich lese, dass der Transponder am Handgelenk zu befestigen ist. Beim Tangermünder Lichterlauf vor zwei Wochen löste sich das Gerät vom Schuh, da ich es an dem Schnellschnürsystem meines Salomon-Schuhs offensichtlich nicht fest genug angebracht hatte. Infolgedessen hatte ich mir nun einen Kabelbinder besorgt, der heute jedoch nicht zum Einsatz kommen wird. Mit einem 20 Euro-Schein, den ich auf dem Ilsenburger Marktplatz finde, begebe ich mich auf den Weg zum Lidl. Meinen Einkauf frühstücke ich auf einer Bank am Forellenteich. Auf dem Marktplatz herrscht bereits großer Trubel. Neben dem 48. Brockenlauf richtet Ilsenburg dieses Jahr auch die Deutsche Meisterschaft im Berglauf aus. Den Läufern, die an letzterem teilnehmen, steht ab 9:30 Uhr eine Strecke von 11,7 km bevor. 20 Minuten später starte ich als einer von 534 Brockenläufern, die sich für die 26.2 km lange Strecke und eine Bewältigung von 890 Höhenmetern angemeldet haben. Richtung Berg verabschiedet uns ein applaudierendes Publikum, in dessen Reihen sich neben dem Veranstalter auch Innenminister Holger Stahlknecht befindet.

Zunächst geht es bei minimalem Anstieg aus der mittelalterlichen Stadt heraus. Auf gut ausgebauten Forstwegen mit moderater Steigung passieren wir nach zwei Kilometern den Ilsestein, das Wahrzeichen Ilsenburgs. Die Strecke führt nun entlang der Ilse, die gemächlich vor sich hin plätschert. Nachdem Pasternosterklippe, Loddenke sowie die Ilsefälle hinter uns liegen, wird es ab dem sechsten Kilometer anspruchsvoll. Ein Untergrund aus Schotter und eine zunehmende Steigung bremsen nicht nur mein Tempo. Für einige hundert Meter ist der Weg so schmal, dass ein Überholen kaum möglich ist. Umgeben von alten Bäumen tanke ich nach sechseinhalb Kilometern an der ersten Verpflegungsstelle auf. Auf der Hermannchaussee (Hermannsklippe) laufen nur noch die wenigsten. Auch ich schalte einen Gang zurück und bewältige die Steigung mit großen Schritten. Viele Läufer überhole ich dabei und erreiche schließlich den ehemaligen Kolonnenweg. Nach 1:34 h erreiche ich den 12,1 km entfernten, 1141 Meter hohen Gipfel. Das Wetter spielt mit und ermöglicht herrliche Ausblicke. Der Brockenhexe strecke ich meinen Hintern entgegen, damit sie ihres Amtes walten und mich vom Berg fegen kann. Den Gedanken, hier oben für einen Moment zu verweilen, verabschiede ich schnell, denn mir geht es gut und ich will weiter laufen.

Bergab geht es nun zunächst auf asphaltiertem Untergrund, auf welchem mir sehr viele Wanderer begegnen. Nach Erreichen der ersten Verpflegungsstation bei Kilometer 16 spüre ich erstmals ein Ziehen in meinen Waden. Ich laufe weiter, doch verlangsame ich später das Tempo und gehe schließlich, um ausgeprägte Krämpfe zu verhindern. Ich bin umgeben von einer Landschaft, die von trockenen Fichten dominiert wird. Ein Läufer, den ich kurz zuvor überholt hatte, als er ging, holt mich schließlich ein und mutmaßt den Grund meiner Gehpause. Er meint, Wadenkrämpfe zwingen ihn zu Gehpausen. Er hätte in den vergangenen Wochen nicht ausreichend trainiert. Ich stelle fest, dass ich das Bergablaufen unterschätzt habe. Nach einer längeren Gehpause und vielen Läufern, die mich überholen, wechsele ich wie der ins Lauftempo. Mich holt ein Läufer ein, dessen Tempo genau meinem entspricht, und so laufen wir Seite an Seite. Ohne miteinander zu kommunizieren, laufen wir mehrere Kilometer nebeneinander und obwohl noch einige Kilometer vor uns liegen, sehe ich uns schon gemeinsam im Zieleinlauf. Kurz vor dem Erreichen Ilsenburgs fällt mein Mitläufer jedoch zurück, sodass ich den Marktplatz allein erreiche und nach 3:00:26 erschöpft, zufrieden und schmerzfrei durchs Ziel laufe. Sofort wird mir der Transponder abgenommen und ich erhalte ein kleines Papier mit den gemessenen Zeiten. Am Verpflegungsstand stärke ich mich mit Getränken und Obst, und halte wenig später eine Urkunde in den Händen. Vor der Siegerehrung suche ich die Turnhalle auf und sehe im Spiegel ein Gesicht voller Sand.


Entgegen meiner ursprünglichen Absicht, auf einem Campingplatz in Wernigerode zu übernachten, entscheide ich mich für eine weitere Nacht in der Turnhalle, bin ich doch ziemlich ausgepowert. Außerdem ist Ilsenburg durchaus einen längeren Aufenthalt wert. So kaufe ich erneut im Lidl ein und nehme im Freibad, welches heute kostenlos genutzt werden kann, ein kurzes Sonnenbad. Anschließend spaziere ich durch den beschaulichen Ort und lese bis zum Einbruch der Dunkelheit am Forellenteich. Mit drei weiteren Sportlern verbringe ich die Nacht in der Turnhalle. Um 8:30 Uhr breche ich mit dem Rad auf nach Wernigerode und frühstücke in der malerischen, autofreien Altstadt. Im Sattel geht es weiter nach Halberstadt und schließlich nach Nienhagen (bei Halberstadt), wo ich in den HEX nach Magdeburg nehme, um dort in die S-Bahn nach Demker umzusteigen und schließlich per Rad nach Seehausen zu fahren.


> 1./2. September <

Zelten am Kulkwitzer See in Leipzig

Marcel und Kai holen mich am Freitagabend ab. Mit voll beladenem Kofferraum und frisch geernteten Kirschen machen wir uns auf in Richtung Leipzig. Die Tore der Stadt bereits erreicht, informiert uns Gastgeberin Ines, dass noch ein Parkplatz vor dem Haus frei ist. Dem ist auch bei unserer Ankunft noch so, sodass wir binnen weniger Minuten am gedeckten Tisch Platz nehmen. Von der freundlichen Hausherrin bekommen wir Kürbissuppe serviert, die so lecker ist, dass ich meine Schüssel zwei weitere Male fülle. Mit vollen Mägen schmeißen wir uns zunächst auf die Couch und nach einem Austausch über die jüngste Vergangenheit schließlich in die Federn. Beim Frühstück, welches keine Wünsche offen lässt, entscheiden wir uns für das Zelten am Kulkwitzer See, der sich am westlichen Stadtrand Leipzigs befindet. Uns vier ins voll bepackte Auto gepresst, halten wir nach wenigen hundert Metern am Supermarkt und stopfen unsere Einkäufe in die spärlich vorhandenen Freiräume.

Trotz Navi finden wir die Einfahrt zum Campingplatz am 'Kulki' zunächst nicht und irren ein wenig umher. Auch das noch, denken wir uns, als wir plötzlich auf einem Schild, welches an einem Alleebaum hängt, lesen, dass der Campingplatz bereits voll ist. Wir ignorieren diese Information und halten vor der geschlossenen Schranke des Campinggeländes, welches auf einer Halbinsel liegt. An der Rezeption erhalten wir den Vorschlag, während der Mittagspause auf dem Gelände einen freien Platz zu suchen. Über die Areale A, B und C schlendernd, identifizieren wir zwei Stellplätze, die uns zusagen. Da noch Mittagspause ist, vertreiben wir uns die Zeit am Seeufer unweit der Tauchstation. Hier ist es uns aber doch zu schattig, sodass wir auf eine sonnenverwöhnte Wiese flüchten, auf der wir einen Teil unserer mitgebrachten Schokoladenvorräte vertilgen. In der Check-In-Schlange stehend, weise ich einen anderen Campinggast zurecht, der versucht, sich vorzudrängeln. Dass dieser kein einfacher Zeitgenosse ist, erleben wir wenig später als Zeugen einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen ihm und einer sich schließlich durchsetzenden Rezeptionistin. Nachdem wir neben einer Finnhütte unsere zwei Zelte aufgeschlagen haben, gehen wir erneut zum Seeufer und machen es uns auf der Höhe des Schiffrestaurants bequem. Sowohl die Liegefläche als auch der Uferboden sind zwar ziemlich steinig, doch ist es im Vergleich zu den Uferabschnitten am Rettungsturm wesentlich ruhiger. Durch die Ufervegetation sehen wir die im nördlichen Seebereich über das Wasser gleitenden Wasserskifahrer. Während Marcel und Kai es vorziehen, am Ufer zu liegen, genießen Ines und ich das glasklare Wasser des 'Kulki' sowie die uns einander zuwerfenden Algenpackungen.

Am Abend bestellen wir im Imbiss Seegarten gebratene Nudeln, Bratwurst und Pommes, und werden von einer sehr freundlichen, jungen Frau mit asiatischen Wurzeln bedient. Aus wenigen Metern Entfernung ruft uns eine Frau zu, die uns um Kleingeld erleichtern möchte, was ihr nicht gelingt. Wir werden sie am nächsten Tag wiedersehen. Den späteren Abend verbringen wir am See. Bestens unterhalten fühlen wir uns von einem Pärchen, dessen männlicher Part in Frauenklamotten steckt. Offensichtlich gibt es für das Pärchen heute einen Grund zum Feiern, denn gemeinsam mit Freunden werfen sie sich gegenseitig Wasserbomben zu und bringen selbige dabei lauthals lachend zum Platzen. Auf den ausgebreiteten Decken spielen wir Karten sowie das Kaufhaus- und Arche Noah-Rätsel. Nach einer für Marcel und Kai eher schlaflosen Nacht nehmen wir neben unseren Zelten auf dem Boden sitzend ein im Vergleich zum Vortag einfaches Frühstück ein, das aus mitgebrachtem Kuchen und Kirschen besteht und mit Kaffee vom Imbiss nebenan heruntergespült wird. Wir entscheiden uns gegen eine Tretbootfahrt und parken nach Verlassen des Campingplatzes direkt am Seerestaurant, welches offensichtlich seit längerer Zeit kein Gast von innen gesehen hat. Ein paar Stunden sonnen wir uns heute auf der unweit von der gestrigen Liegefläche gelegenen Liegewiese, und spielen Mister X. Zur Mittagszeit kehren wir im Griechischen Restaurant ein. Im schattigen Hof wird es mit der Zeit doch unerwartet kühl, sodass wir mit unserem Tisch der Sonne folgen. Freundliche Kellner servieren uns leckere Speisen, zu denen die mit Salz und Knoblauch gewürzten Bratpaprikas gehören, die mich an die in Portugal gegessenen Pimientos de Padrón erinnern. Kai kann aufgrund seines heute pausierenden Geschmackssinnes sein Essen leider nur bedingt genießen. Bedingt sind auch die Rechenkünste, die der Kellner beim Bezahlen an den Tag legt. Weil es so schön war (und ist), beschließen wir, ein weiteres Mal zum 'Kulki' zu fahren und Sonne zu tanken, bevor wir nach zwei lustigen und erholsamen Tagen am Sonntagnachmittag die Heimfahrt antreten.


> 29. Juni/1. Juli <

Pfingst-Radtour - Von Wittenberge nach Werben

Aus Erfahrung weiß ich, dass ich etwa 45 Minuten für die Fahrt von Seehausen nach Wittenberge brauche, und schwinge mich nach dem Gießen meiner durstigen Tomatenpflänzchen am Samstag gegen 8.30 Uhr auf mein Rad. Gerade einmal ein paar Meter auf dem Aland-Deich unterwegs, sehe ich direkt vor mir fünf Weißstörche auf dem gepflasterten Weg stehen. Ein schöner Anblick, denke ich, als sie mir schließlich Platz machen und sich in die Lüfte begeben. Sicher werde ich heute noch weitere Exemplare zu Gesicht bekommen, freue ich mich, denn unsere geplante Radtour wird uns durch das Storchendorf Rühstädt führen. Doch bis dahin dauert es noch eine Weile, und so halte ich, neugierig nach links und rechts blickend, weiter nach tierischen Bewohnern der Feldmark Ausschau. Auf die Straße brauche ich mich kaum zu konzentrieren, habe ich sie heute doch offensichtlich ganz für mich allein. Zu meiner Rechten entdecke ich einen Fasan, und erinnere mich, dass ich letztes Jahr etwa um die selbe Zeit an der Schönberger Straße ein Exemplar gesichtet hatte. Ich erfreue mich an den blühenden Wegrändern und erschrecke, als kurz vor Geestgottberg auf der linken Seite ein Reh durchs hohe Gras huscht. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass ich gut in der Zeit liege, und so überlege ich, meinen Radtour-Gefährten einige der hübschen Wiesen-Margeriten als kleines Souvenir mitzubringen. Da ich aber am vereinbarten Treffpunkt mein Frühstück nachholen und an der Tankstelle den Reifendruck überprüfen möchte, was doch ein wenig Zeit frisst, entscheide ich mich, die Pflänzchen stehen zu lassen.

Ohne Dekoration am Rad lasse ich den Hügel zwischen der alten Wittenberger Straße und der B189 hinter mir, überquere die Elbe und erreiche schließlich Wittenberge. Das kann doch nicht wahr sein, fluche ich, als bei der Luftdruckmessung an der Tankstelle plötzlich die Luft aus dem Reifen entweicht. Ich ärgere mich, mich vorab nicht mit der für mich fremden Ventil-Art beschäftigt zu haben und sehe mich in Gedanken mein Rad zum nächstgelegenen Fahrradgeschäft schieben. Der Zufall meint es heute aber gut mit mir und lässt mich nur wenige Meter von der Tankstelle entfernt drei Radfahrern begegnen, die mir schließlich erklären, dass der kleine Stift im Ventil gedrückt werden muss. Mist, denke ich mir, darüber hatte ich tatsächlich mal etwas gelesen. Erleichtert bedanke ich mich und stehe einige Minuten nach der vereinbarten Zeit Ines und Franny gegenüber, die etwas mehr als 30 Minuten Busluft schnupperten. Wo Marcel sei, fragen sie mich, wenig überrascht von seiner fehlenden Gegenwart. Ich lasse sie wissen, was ich selbst erst wenige Minuten zuvor durch ein Telefongespräch erfahren habe. In etwa 20 Minuten wird er am Treffpunkt sein. Die Sonne lacht uns entgegen, freuen wir uns, als Marcel und Kai schließlich eintreffen. Bisher war der Himmel sehr wolkenverhangen. Nachdem Marcel sein Rad ins Freie gekramt hat und wir uns von Kai verabschiedeten, treten wir gegen 10 Uhr schließlich gemeinsam in die Pedalen und schieben unsere Räder nahe der Elbbrücke auf die Deichkrone. Wir erinnern uns, dass wir vor knapp zwei Jahren ebenfalls am rechten Elbufer fuhren, allerdings flussabwärts, und sind zuversichtlich, flussaufwärts auf einem ebenso gut ausgebauten Radweg unterwegs zu sein. Vor uns liegen knapp 50 km.

Wir schaffen es tatsächlich, die Gaststätte zum Fährmann zu passieren, ohne einzukehren. Stattdessen machen wir auf der Höhe Schade-Beuster unsere erste Rast. Neben einer Sitzbank breiten wir unsere Decken aus und verwöhnen uns mit einem ausgiebigen Frühstück aus Karotten, Gurken, Oblaten, Eiern etc. Viele Radfahrer passieren unser kleines Frühstücksidyll. Gut gestärkt schwingen wir uns wieder in die Sättel und erreichen den Wittenberger Ortsteil Hinzdorf. Eine Informationstafel gibt Auskunft über die Kopfweiden, die in der Elbtalaue zahlreich zu finden sind und einst einen wichtigen Wirtschaftszweig der Region darstellten. Ohne im Pfannkuchenhaus vorbeizuschauen, verlassen wir den Ort, an dessen Ausgang ich meinem Gesicht eine Schicht Sonnenmilch gönne. Vom Aussichtsturm 'Bälower Elbblick' genießen wir eine herrliche Sicht über die weite Elblandschaft. Teppiche aus Kuckuckslichtnelken und Wiesenmargeriten schmücken die Wiesen beidseits des Deich-Radweges. Auch am Fahrrad machen die Blüten eine gute Figur, denke ich mir, und entführe einige von ihnen, bevor ich meinen drei Tour-Gefährten folge, die längst auf den Plattenweg in Richtung Rühstädt abgebogen sind.

Zwar werden die hübschen Mitbringsel freudig in Empfang genommen und am Rad positioniert, doch erhalten die Blumen nur kurz Aufmerksamkeit, denn da wir uns am Fuße des Walter-Fritze-Fotopunktes befinden, stehlen ihnen die berühmtesten Bewohner Rühstädts die Show. Um einige der etwa 30 Weißstorchenpaare, die hier, im Europäischen Storchendorf, jedes Jahr ihre Jungen groß ziehen, zu beobachten, schreiten wir die Treppe zum Balkon hinauf. Zahlreiche Horste thronen auf den Dächern der umliegenden Gebäude. Allein auf einem der Dächer zählen wir vier Horste. Die aufmerksame Franny gewinnt schnell den Eindruck, dass es sich bei einem der Horstbesetzer um eine Attrappe handelt, rührt sich der Vogel doch kein bisschen. Die Frage, woher die Legende stammt, dass Meister Adebar die Babys bringt, taucht plötzlich auf, ohne dass sich eine Antwort darauf findet. Später werde ich lesen, dass diese Geschichte hierzulande im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm, als Sexualität ein gesellschaftliches Tabuthema war und Eltern bei der Aufklärung ihrer Sprösslinge entsprechend kreativ wurden. Beim Durchfahren Rühstädts passieren wir mehrere Tafeln, die mit Fotos und Geschichten über den Alltag früherer Zeiten informieren.

Groß ist die Enttäuschung bei den Kaffee-Junkies unter uns, da keines der im Ort befindlichen Lokale aufgrund geschlossener Gesellschaften geöffnet ist. So verweilen wir einige Minuten vor dem 'Landgasthaus Storchenkrug' und treffen auf andere, ebenso unzufriedene Radwanderer. Die Suche nach einem stillen Örtchen führt uns schließlich zum vom NABU Brandenburg betriebenen Besucherzentrum, wo sich die Gelegenheit bietet, den Kaffeedurst mit Kaffee aus dem Automaten zu stillen. Wir entscheiden uns gegen eine geführte Wanderung und fahren weiter Richtung Gnevsdorf, wo die Havel als 10 km langer Kanal, dem Gnevsdorfer Vorfluter, in die Elbe mündet. An einer Weggabelung informiert ein Schild über Bauarbeiten auf dem Elberadweg und eine infolgedessen zu fahrende Umleitung. Etwas orientierungslos legen wir eine spontane Pause ein. Die meisten Pedalritter, die an uns vorbeifahren, wirken hinsichtlich der Frage, welchen Weg sie einschlagen sollen, ähnlich unschlüssig, wählen jedoch den direkten Weg über die angebliche Baustelle. Nur ein Radfahrer, der über die aktuelle Lage bestens informiert zu sein scheint, entscheidet sich für die Umleitung. Allein die Tatsache, dass er allein unterwegs ist, veranlasst Franny zu der Äußerung, dass dieser Typ merkwürdig sei.

Wir legen es darauf an, ignorieren das Schild und folgen weiter dem Radweg. Nach der Überquerung eines Wehrs schaue ich mir eine extra für Schwalben gebaute Nesthilfe in Form eines Turmes an. Bald ist die Fähre in Sicht, die wir nach dem Passieren des Gasthauses Mühlenholz gerade noch rechtzeitig vor dem Ablegen erreichen. Zu unserer Überraschung schließt der NP in Werben samstags bereits um 16 Uhr, sodass wir direkt weiter zum Freibad radeln. Hier treffen wir Ingrid, die berichtet, dass sie als Schulmädchen 1968 beim Ausheben des Bades half. Schnell sind eins und eins addiert, und wir lassen uns vom Bademeister bestätigen, dass sich die Einweihung des Freibades im kommenden Jahr zum 50. Mal jährt.

Nach einem erfrischenden Bad suchen wir die hinter dem Freibad in der Bungalowsiedlung gelegene Datsche auf. Schnell sind die Schlaflager zugeordnet und der Grill angefeuert. Wir sind hungrig, liegen doch etwa 50 km Radstrecke hinter uns. Nachdem die Mädels auch den letzten freien Zentimeter ihrer Haut mit Mückenspray versorgen, bringt Marcel das Grillgut auf den Tisch. Mit vollen Mägen begeben wir uns schließlich ins Wohnzimmer, wo wir uns den argentinischen Film 'Wild Tales' ansehen, der entgegen meiner Erwartung nicht allen gefällt, was lautstark zum Ausdruck gebracht wird. Offensichtlich ist die Couch auch zum Schlafen geeignet, denn Marcel macht nach dem Filmende keine Anstalten, sie zu verlassen. Während im Nebenraum Zentimeter für Zentimeter nach potentiellen achtbeinigen Übernachtungsgästen abgesucht wird, schmeiße ich mich in mein Nachtlager. Kaum befinde ich mich in der Waagerechten, beginnt mein Magen zu rumoren. Ganz plötzlich verspüre ich den Drang, das Klo aufzusuchen, springe auf und taste mich ins Bad. Mit Schwindelgefühl verbringe ich hier einige Minuten, ehe ich mich zurück ins Nachtlager schleppe. Vermutlich liegt dieser nächtlichen Attacke ein Hitzeschlag oder Überfressen zugrunde, möglich ist auch eine Kombination von beidem. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn ein Anruf von Vati am frühen Morgen reißt mich aus dem Schlaf. Nach dem Austausch weniger Worte versinkt meine rechte Gesichtshälfte erneut im Kopfkissen, doch entschließe ich mich kurz darauf doch zum Aufstehen.

Mit meinem Handtuch spaziere ich zum nahe gelegenen See. Kaum stehe ich im knietiefen Wasser, nähert sich mir ein Schwanenpärchen, das vermutlich irgendwo in der Nähe sein Gelege hat. Schnellen Schrittes suche ich am Ufer nach einem anderen Zugang zum Wasser, doch die Schwäne folgen mir. Eine Frau, die gerade dabei ist, gemeinsam mit ihren zwei Kindern einen am Bungalow gefundenen Frosch im See auszusetzen, zeigt mir schließlich eine etwas entferntere Stelle, die sich zum Baden eignet. Zwar könnte ich aufgrund einer geringen Seetiefe entlang eines auf dem Seeboden befindlichen Stegs bis ans andere Ufer gehen, doch drehe ich nach wenigen Metern um, denn eine Begegnung mit den Schwänen im Wasser möchte ich lieber vermeiden. Beim gemeinsamen Frühstück philosophieren wir über zukünftige Urlaubsziele und beschließen, sämtliche Ideen in einen Hut zu werfen. Welcher Städtetrip uns als nächstes bevorsteht, entscheidet also das Los! Gegen 12 Uhr brechen wir in Richtung Seehausen auf, treffen uns aber am Abend nochmals im Bungalow.

> 19./20. Mai <

Anpacken in Walsleben, Bummeln durch Neuruppin

Dieses Jahr folgen wir Renés Vorschlag, dem Hausausbauer Tobias einen Besuch abzustatten, und ihm einen Tag lang tatkräftig unter die Arme zu greifen, denn an Arbeit mangelt es laut des Bauherrn in Walsleben keineswegs. Schnell ist mit dem Himmelfahrtswochenende ein für fast alle willigen Bauhelfer geeigneter Termin gefunden, an welchem wir schließlich nicht nur mit anpacken, sondern auch das nahe gelegene Neuruppin erkunden.

Da für den frühen Abend Gewitter angesagt sind, schwinge ich mich kurz nach 10 Uhr auf meinen mit zwei prallgefüllten Fahrradtaschen beladenen Drahtesel. Für die Fahrt bis Walsleben habe ich sechs bis sieben Stunden eingeplant, mehrere kleine Pausen sowie einen Sprung in einen an der Strecke liegenden See eingerechnet. Auf die etwa 75 km lange Route, die vor mir liegt, bin ich sehr gespannt, stellt diese Streckenlänge für mich doch eine Premiere dar. Aufgrund der sehr ausgefahrenen Fahrbahn zwischen Schönberg und Neukirchen entscheide ich mich, über Falkenberg und Lichterfelde zu fahren, und folge ab Wendemark der L2, die mich durch die kleinste Hansestadt der Republik führt. Auf dem Werbener Marktplatz angekommen, nehme ich trotz meiner Kopfhörer das Klingeln meines Telefons wahr, bringe mein Zweirad zum Stehen und krame das Handy ins Freie. Während ich vergeblich in das Telefon brülle und von Tobias kein Wort vernehme, erschrecke ich, als mein Rad plötzlich umfällt und sich mein Obst auf der Straße verteilt. Ich stelle fest, dass sich ein mit zwei vollen Hinterradtaschen beladenes Fahrrad nicht so einfach durch das Anheben des Fahrradsattels zur Seite stellen lässt. Nachdem ich meine Habseligkeiten wieder verstaut und Tobias schließlich erfolgreich Auskunft über meine geplante Ankunftszeit erteilt habe, mache ich mich auf den Weg ins 4 km entfernte Räbel. War ich bisher ausschließlich auf einer asphaltierten Fahrbahn unterwegs, erfordert das Fahren auf dem aus Sand und Split bestehenden Fahrbahnrand Konzentration. Ich habe Glück, denn die Gierseilfähre, die allein durch die Strömung bewegt wird, liegt gerade an der linkselbischen Seite an. Bei herrlichem Sonnenschein lasse ich mich von ihr über den Strom tragen.

Das 'Haus der Flüsse' lasse ich links liegen, lasse die Insel- und Domstadt Havelberg in östlicher Richtung hinter mir, verlasse die L4 und biege in Müggenbusch rechts in die beschattete Straße nach Wöplitz ein. Eine fehlende Beschilderung an einer Weggabelung zwingt mich, mich für einen Weg zu entscheiden. Intuitiv wähle ich den linken, und treffe kurz darauf einen Radfahrer, dem diese Region ebenfalls fremd ist. Nach mehreren Kilometern durch bewaldetes Gebiet stoße ich nahe des Aussichtsturms Lütow an dem Flüsschen Neue Jäglitz auf eine weitere Weggabelung. Von der Info-Tafel erhoffe ich mir Hilfe zur Orientierung, doch werde ich enttäuscht, und schlage stattdessen beim Lesen des Satzes „Der Kranich, welcher dieser ..“ in Gedanken die Hände über dem Kopf zusammen. Gemeinsam mit dem mir bekannten Radfahrer, der mich mittlerweile eingeholt hat, erkundige ich mich bei zwei anderen Pedalrittern nach dem Weg. Dank ihnen vermeide ich es, einen Umweg über Vehlgast zu fahren, und erreiche den Ort Damerow. Hier, kurz vor der Ländergrenze Sachsen-Anhalt/Brandenburg, irre ich orientierungslos umher, bis ich schließlich auf einen Mann treffe, der mir freundlich Auskunft gibt. So erklärt er mir, dass der direkteste Weg nach Neustadt (Dosse) über Joachimshof, Koppenbrück und Goldbeck führt. Darüber, dass ich einen Teil der Strecke aufgrund eines zu sandigen Untergrundes voraussichtlich vom Rad steigen muss, bin ich mir dank seiner Info im Klaren. Von der langen Kopfsteinpflasterstraße mit schmalem und holprigen Randstreifen erfahre ich vom Anwohner, der vermutlich nicht Rad fährt – so lässt es seine voluminöse Erscheinung jedenfalls vermuten – allerdings nichts. In Neustadt (Dosse) angekommen, schaue ich mir die Informationstafel an, und halte anschließend beim Durchfahren des Ortes nach dem örtlichen Freibad sowie dem nahe gelegenen See Ausschau. Da ich beides nicht entdecken kann, folge ich der B102 in Richtung Bückwitz, um mich im Bückwitzer See abzukühlen. Daraus wird wohl nichts, ahne ich, als ich mich der hiesigen Badestelle nähere und bei lautstarker Musik auf eine große Menschenmenge treffe. Zwei vergnügte Passantinnen, die ich anspreche, teilen mir mit, dass es am See keinen weiteren Zugang zum Baden gibt. Allerdings gäbe es in Wusterhausen/Dosse einen großen Badesee, und so setze ich meine Fahrt auf dem die B5 begleitenden Radweg fort.

Im Strandbad Wusterhausen am Klempowsee verweile ich unweit eines sich sonnenden Schwans eine Stunde, bevor ich mich bei zunehmend verdunkelndem Himmel wieder auf mein Rad schwinge. Als die Orte Gartow, Dessow und Lögow hinter mir liegen, biege ich links in das weniger slawisch klingende Walsleben ab. Was für ein Empfang, denke ich mir, als beim Passieren der Dorfkirche ein Blasorchester zu Spielen beginnt. Ich frage mich nach der Bergstraße durch, wundere mich kurz über eine vermeintlich inkonsequente Vergabe der Hausnummern, als ich Tobi plötzlich hinter dem Tor mit der von mir gesuchten Hausnummer entdecke. Freudig begrüßen wir uns, und ich nehme es nicht persönlich, dass Tobis Mutter, Opa und Halbschwester kurz nach meiner Ankunft die Heimfahrt antreten. Eine detaillierte Hausbesichtigung verschieben wir auf später, damit Tobi nach Hennings geplanter Anreise um 20:30 Uhr nicht alles wiederholen muss. Nachdem auch Henne mit Grillgut versorgt wurde und wir von Tobi viel über die vorangegangenen Arbeiten im Haus und am Dach erfahren, verkrieche ich mich gegen Mitternacht ins auf dem benachbarten Grundstück aufgebaute Zelt. Führt Henne im Nachbarzelt ein Selbstgespräch, frage ich mich, als ich ihn wenig später neben mir Portugiesisch sprechen höre. Gegenüber einer leichten Aggression gewinnt schließlich die Neugierde beim Zuhören der mir nicht ganz unbekannten Sprache die Oberhand, und so lasse ich Henne weiter ins entfernte Brasilien telefonieren.
Nachtquartiere
Noch am Abend erzählte uns Tobi, dass sich die Estrichleger für den Freitagmorgen angekündigt haben, und so begegne ich dem Bauherrn und zwei Handwerkern pünktlich um 7:30 Uhr im zukünftigen Wohnzimmer. Dass ich mich so früh auf der Baustelle einfinde, liegt zum einen an meinem Interesse, beim Estrichlegen zuzusehen, zum anderen an der Tatsache, dass sich mein Zelt in der Morgensonne bereits dermaßen aufgeheizt hatte, dass ich es in seinem Inneren nicht mehr aushielt. Zu Tobis positiver Überraschung schreiten die routinierten Handwerker, mit denen wir die vom Bauherrn mitgebrachten belegten Brote hungrig verschlingen, mit ihrer Arbeit schnell voran. Bis zum Mittag werden sie mit dem Wohn- und Schlafzimmer sowie der Küche und dem Flur fertig sein, heißt es, und um sie entsprechend zu entlohnen, fahren Tobi und ich nach Neuruppin zum Geldabheben. Zurück in Walsleben treffen wir auf den mittlerweile ausgeschlafenen Henning, mit dem wir uns schließlich in die Gartenarbeit stürzen, da das Haus heute und in den nächsten Tagen nicht betreten werden darf. Nachdem wir auf dem Innenhof ungeliebtes Wurzelwerk ausgraben, bewaffnen wir uns mit Freischneider und Astschere, und rücken den Brennnesseln sowie Buschwerk im Garten zu Leibe. Über Christians Ankunft sind wir besonders froh, sorgt er doch mit den mitgebrachten Pizzen dafür, dass wir uns für die nächsten Aktionen stärken können. So dauert es nicht lang', und René stößt zur Gruppe, bereit, vom Bauherrn als unbrauchbar oder störend erklärte Gehölze von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Während René auf der Wiese munter seine Säge schwingt, widmen wir uns nach reichlicher Überlegung der einem Hochsicherheitsgefängnis ähnelnden Zaunanlage, welche vom Vorbesitzer vermutlich errichtet wurde, um den Fuchs vom geliebten Federvieh fernzuhalten. Meter für Meter bauen wir eifrig den Maschendrahtzaun zurück und ich scherze laut, dass wir heute keinen Stein mehr auf dem anderen lassen.
Christian amüsiert sich, während René Kleinholz macht
Kreative Pause
Der Zaun muss weg!


Bauherr und Bauherrin zeigen sich sichtlich zufrieden über das Ergebnis des heutigen Schaffens, und so gehen wir zum gemütlichen Teil des Tages über. Dieser findet im von Tobi angemieteten Ferienhaus statt, welches sich nur ein paar Häuser entfernt befindet und seinem früheren Religionslehrer gehört, der wiederum das Nachbarhaus bewohnt. Da der Vermieter gerade urlaubt, lernen wir ihn nicht kennen. Der Postkasten im Nachbarhaus verrät lediglich, dass er taz-Leser ist. Mit ausreichend Grillgut auf dem Teller kehren wir dem Hof des Ferienhauses den Rücken und machen es uns im Esszimmer bequem. Nach dem Leeren zweier 'Kräuter' begeben wir uns ins Wohnzimmer, das uns durch die vorhandene Einrichtung den Eindruck vermittelt, als wären wir gerade als Fremde im Haus einer betagten Frau, die ihre vier Wände nur mal kurz zum Einkaufen verlassen hat. So fragen wir uns, als wir die an der Wand hängenden Bilder von einer Oma und ihren Enkeln betrachten und die Fotoalben der Familie in den Händen halten, ob wir wohl im Badezimmer ihre dritten Zähne vorfinden werden. Angeheitert vom vorherigen Ess- und Trinkgelage schmeißen wir uns auf die äußerst bequeme Couch oder auf den Fußboden, und amüsieren uns über die Bewegungen des Massagestuhls. Getreu dem Motto, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, wirft sich Tobi gegen halb 3 Uhr ins Bett im Nachbarzimmer, und auch wir anderen suchen nach und nach unsere Nachtquartiere auf.
Ferienhaus
Gute Laune am Abend
Tobi als Couchbesetzer ..
.. René bleibt nur der Fußboden
Massagestuhl sorgt für Heiterkeit

Für heute, Samstag, ist eine Fahrt ins etwa 10 km entfernte Neuruppin geplant, und so steigen wir nach dem Frühstück in Omas Esszimmer in Renés Familiengefährt. Nach einem kurzen Zwischenstopp in der vorübergehenden Bleibe von Tobi und seinen drei Mädels, und einem weiteren Halt am Getränkemarkt, leitet uns Tobi ins Zentrum der Fontanestadt. Unweit von der Pfarrkirche St. Marien geparkt, wollen wir einen Blick ins Innere der auch als Veranstaltungszentrum genutzten Kirche werfen, bleiben allerdings vor verschlossener Tür stehen. Wir passieren die ausladende Krone einer Buche und folgen der Karl-Marx-Straße. Den Schulplatz als zentralen Platz der Stadt ziert ein Denkmal von Friedrich Wilhelm II. Statt an die preußische Geschichte denken wir lieber daran, Annika im Blumenladen einen Besuch abzustatten. Ein paar Schritte weiter, an der Ecke des folgenden Blocks, gönnen wir uns in der Paolo Zambon Eisdiele ein leckeres Gelati. Erfrischt biegen wir in den Fontaneplatz ab und spazieren die von einer Allee gesäumte Karl-Liebknecht-Straße entlang, an deren Ende uns Tobi auf seine frühere Schule aufmerksam macht. Auf dem Uferweg flanierend, begegnen wir einem Freund Tobis, den wir später noch einmal wiedertreffen sollen. Bei strahlendem Sonnenschein lassen wir schließlich unseren Blick über den Ruppiner See als mit einer Länge von 14 km längstem See Brandenburgs schweifen. Mit dem Gedanken, im nächsten Jahr irgendwo einen Ausflug per Hausboot zu unternehmen, begeben wir uns wieder in Richtung Innenstadt. Wir lassen die Klosterkirche links liegen, schießen aber in deren Nähe ein Gruppenfoto, um – um es mit Renés Worten zu sagen – „den Verfall zu dokumentieren“. Am Parzival am See, einem 17 Meter hohen Kunstwerk aus Edelstahl, lässt Tobi kein gutes Haar. Auch wir finden, dass es sich bei dieser Statue um keine Schönheit handelt, und schreiten die nahe gelegene Seebrücke entlang, welche von einem jungen Angler gerade zum Fischen genutzt wird. Just im Moment des Vorbeilaufens befördert der Junge einen Fisch an Land, dem er zu unserem Erstaunen einen Kuss gibt, bevor er ihn wieder ins kühle Nass wirft. Auf dem Kirchplatz verweilen wir eine Weile nahe des 1883 vom Bildhauer Max Wiese gestalteten Schinkel-Denkmals, welches den jungen Maler und Baumeister Karl Friedrich Schinkel zeigt, dessen Wiege in Neuruppin stand.
"Um den Verfall zu dokumentieren."
Ruppiner See
Kunst, die nicht begeistert
Schinkel-Denkmal
Auf dem Weg zurück nach Walsleben kaufen wir für das heutige Abendessen ein. Bevor wir uns an die Zubereitung der Speisen machen, entscheiden wir uns für einen Spaziergang durch Tobis neuen Wohnort, der etwa 800 Einwohner zählt; die im Mühlenweg lebenden, lustig dreinblickenden Alpakas, deren Wolle zu Bettwaren verarbeitet wird, nicht mitgerechnet. Zurück im Ferienhaus servieren uns Christian und René schließlich Nudeln mit zwei verschiedenen Tomatensoßen, die allen Beteiligten sehr gut schmecken. Farblich passend, tischt Christian als Nachspeise in Alkohol getränkte Wassermelone auf.
Abendspaziergang
Spaghetti Creazione a la Christian und René
Nach einem guten Frühstück treten wir am Sonntag gegen 10 Uhr die Heimfahrt an und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen. Möglicherweise wird dieses noch im selben Jahr in Walsleben stattfinden, sind wir doch auf die Fortschritte der Ausbauarbeiten sehr gespannt.

> 10./13. Mai <