Anpacken in Walsleben, Bummeln durch Neuruppin

Dieses Jahr folgen wir Renés Vorschlag, dem Hausausbauer Tobias einen Besuch abzustatten, und ihm einen Tag lang tatkräftig unter die Arme zu greifen, denn an Arbeit mangelt es laut des Bauherrn in Walsleben keineswegs. Schnell ist mit dem Himmelfahrtswochenende ein für fast alle willigen Bauhelfer geeigneter Termin gefunden, an welchem wir schließlich nicht nur mit anpacken, sondern auch das nahe gelegene Neuruppin erkunden.

Da für den frühen Abend Gewitter angesagt sind, schwinge ich mich kurz nach 10 Uhr auf meinen mit zwei prallgefüllten Fahrradtaschen beladenen Drahtesel. Für die Fahrt bis Walsleben habe ich sechs bis sieben Stunden eingeplant, mehrere kleine Pausen sowie einen Sprung in einen an der Strecke liegenden See eingerechnet. Auf die etwa 75 km lange Route, die vor mir liegt, bin ich sehr gespannt, stellt diese Streckenlänge für mich doch eine Premiere dar. Aufgrund der sehr ausgefahrenen Fahrbahn zwischen Schönberg und Neukirchen entscheide ich mich, über Falkenberg und Lichterfelde zu fahren, und folge ab Wendemark der L2, die mich durch die kleinste Hansestadt der Republik führt. Auf dem Werbener Marktplatz angekommen, nehme ich trotz meiner Kopfhörer das Klingeln meines Telefons wahr, bringe mein Zweirad zum Stehen und krame das Handy ins Freie. Während ich vergeblich in das Telefon brülle und von Tobias kein Wort vernehme, erschrecke ich, als mein Rad plötzlich umfällt und sich mein Obst auf der Straße verteilt. Ich stelle fest, dass sich ein mit zwei vollen Hinterradtaschen beladenes Fahrrad nicht so einfach durch das Anheben des Fahrradsattels zur Seite stellen lässt. Nachdem ich meine Habseligkeiten wieder verstaut und Tobias schließlich erfolgreich Auskunft über meine geplante Ankunftszeit erteilt habe, mache ich mich auf den Weg ins 4 km entfernte Räbel. War ich bisher ausschließlich auf einer asphaltierten Fahrbahn unterwegs, erfordert das Fahren auf dem aus Sand und Split bestehenden Fahrbahnrand Konzentration. Ich habe Glück, denn die Gierseilfähre, die allein durch die Strömung bewegt wird, liegt gerade an der linkselbischen Seite an. Bei herrlichem Sonnenschein lasse ich mich von ihr über den Strom tragen.

Das 'Haus der Flüsse' lasse ich links liegen, lasse die Insel- und Domstadt Havelberg in östlicher Richtung hinter mir, verlasse die L4 und biege in Müggenbusch rechts in die beschattete Straße nach Wöplitz ein. Eine fehlende Beschilderung an einer Weggabelung zwingt mich, mich für einen Weg zu entscheiden. Intuitiv wähle ich den linken, und treffe kurz darauf einen Radfahrer, dem diese Region ebenfalls fremd ist. Nach mehreren Kilometern durch bewaldetes Gebiet stoße ich nahe des Aussichtsturms Lütow an dem Flüsschen Neue Jäglitz auf eine weitere Weggabelung. Von der Info-Tafel erhoffe ich mir Hilfe zur Orientierung, doch werde ich enttäuscht, und schlage stattdessen beim Lesen des Satzes „Der Kranich, welcher dieser ..“ in Gedanken die Hände über dem Kopf zusammen. Gemeinsam mit dem mir bekannten Radfahrer, der mich mittlerweile eingeholt hat, erkundige ich mich bei zwei anderen Pedalrittern nach dem Weg. Dank ihnen vermeide ich es, einen Umweg über Vehlgast zu fahren, und erreiche den Ort Damerow. Hier, kurz vor der Ländergrenze Sachsen-Anhalt/Brandenburg, irre ich orientierungslos umher, bis ich schließlich auf einen Mann treffe, der mir freundlich Auskunft gibt. So erklärt er mir, dass der direkteste Weg nach Neustadt (Dosse) über Joachimshof, Koppenbrück und Goldbeck führt. Darüber, dass ich einen Teil der Strecke aufgrund eines zu sandigen Untergrundes voraussichtlich vom Rad steigen muss, bin ich mir dank seiner Info im Klaren. Von der langen Kopfsteinpflasterstraße mit schmalem und holprigen Randstreifen erfahre ich vom Anwohner, der vermutlich nicht Rad fährt – so lässt es seine voluminöse Erscheinung jedenfalls vermuten – allerdings nichts. In Neustadt (Dosse) angekommen, schaue ich mir die Informationstafel an, und halte anschließend beim Durchfahren des Ortes nach dem örtlichen Freibad sowie dem nahe gelegenen See Ausschau. Da ich beides nicht entdecken kann, folge ich der B102 in Richtung Bückwitz, um mich im Bückwitzer See abzukühlen. Daraus wird wohl nichts, ahne ich, als ich mich der hiesigen Badestelle nähere und bei lautstarker Musik auf eine große Menschenmenge treffe. Zwei vergnügte Passantinnen, die ich anspreche, teilen mir mit, dass es am See keinen weiteren Zugang zum Baden gibt. Allerdings gäbe es in Wusterhausen/Dosse einen großen Badesee, und so setze ich meine Fahrt auf dem die B5 begleitenden Radweg fort.

Im Strandbad Wusterhausen am Klempowsee verweile ich unweit eines sich sonnenden Schwans eine Stunde, bevor ich mich bei zunehmend verdunkelndem Himmel wieder auf mein Rad schwinge. Als die Orte Gartow, Dessow und Lögow hinter mir liegen, biege ich links in das weniger slawisch klingende Walsleben ab. Was für ein Empfang, denke ich mir, als beim Passieren der Dorfkirche ein Blasorchester zu Spielen beginnt. Ich frage mich nach der Bergstraße durch, wundere mich kurz über eine vermeintlich inkonsequente Vergabe der Hausnummern, als ich Tobi plötzlich hinter dem Tor mit der von mir gesuchten Hausnummer entdecke. Freudig begrüßen wir uns, und ich nehme es nicht persönlich, dass Tobis Mutter, Opa und Halbschwester kurz nach meiner Ankunft die Heimfahrt antreten. Eine detaillierte Hausbesichtigung verschieben wir auf später, damit Tobi nach Hennings geplanter Anreise um 20:30 Uhr nicht alles wiederholen muss. Nachdem auch Henne mit Grillgut versorgt wurde und wir von Tobi viel über die vorangegangenen Arbeiten im Haus und am Dach erfahren, verkrieche ich mich gegen Mitternacht ins auf dem benachbarten Grundstück aufgebaute Zelt. Führt Henne im Nachbarzelt ein Selbstgespräch, frage ich mich, als ich ihn wenig später neben mir Portugiesisch sprechen höre. Gegenüber einer leichten Aggression gewinnt schließlich die Neugierde beim Zuhören der mir nicht ganz unbekannten Sprache die Oberhand, und so lasse ich Henne weiter ins entfernte Brasilien telefonieren.
Nachtquartiere
Noch am Abend erzählte uns Tobi, dass sich die Estrichleger für den Freitagmorgen angekündigt haben, und so begegne ich dem Bauherrn und zwei Handwerkern pünktlich um 7:30 Uhr im zukünftigen Wohnzimmer. Dass ich mich so früh auf der Baustelle einfinde, liegt zum einen an meinem Interesse, beim Estrichlegen zuzusehen, zum anderen an der Tatsache, dass sich mein Zelt in der Morgensonne bereits dermaßen aufgeheizt hatte, dass ich es in seinem Inneren nicht mehr aushielt. Zu Tobis positiver Überraschung schreiten die routinierten Handwerker, mit denen wir die vom Bauherrn mitgebrachten belegten Brote hungrig verschlingen, mit ihrer Arbeit schnell voran. Bis zum Mittag werden sie mit dem Wohn- und Schlafzimmer sowie der Küche und dem Flur fertig sein, heißt es, und um sie entsprechend zu entlohnen, fahren Tobi und ich nach Neuruppin zum Geldabheben. Zurück in Walsleben treffen wir auf den mittlerweile ausgeschlafenen Henning, mit dem wir uns schließlich in die Gartenarbeit stürzen, da das Haus heute und in den nächsten Tagen nicht betreten werden darf. Nachdem wir auf dem Innenhof ungeliebtes Wurzelwerk ausgraben, bewaffnen wir uns mit Freischneider und Astschere, und rücken den Brennnesseln sowie Buschwerk im Garten zu Leibe. Über Christians Ankunft sind wir besonders froh, sorgt er doch mit den mitgebrachten Pizzen dafür, dass wir uns für die nächsten Aktionen stärken können. So dauert es nicht lang', und René stößt zur Gruppe, bereit, vom Bauherrn als unbrauchbar oder störend erklärte Gehölze von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Während René auf der Wiese munter seine Säge schwingt, widmen wir uns nach reichlicher Überlegung der einem Hochsicherheitsgefängnis ähnelnden Zaunanlage, welche vom Vorbesitzer vermutlich errichtet wurde, um den Fuchs vom geliebten Federvieh fernzuhalten. Meter für Meter bauen wir eifrig den Maschendrahtzaun zurück und ich scherze laut, dass wir heute keinen Stein mehr auf dem anderen lassen.
Christian amüsiert sich, während René Kleinholz macht
Kreative Pause
Der Zaun muss weg!


Bauherr und Bauherrin zeigen sich sichtlich zufrieden über das Ergebnis des heutigen Schaffens, und so gehen wir zum gemütlichen Teil des Tages über. Dieser findet im von Tobi angemieteten Ferienhaus statt, welches sich nur ein paar Häuser entfernt befindet und seinem früheren Religionslehrer gehört, der wiederum das Nachbarhaus bewohnt. Da der Vermieter gerade urlaubt, lernen wir ihn nicht kennen. Der Postkasten im Nachbarhaus verrät lediglich, dass er taz-Leser ist. Mit ausreichend Grillgut auf dem Teller kehren wir dem Hof des Ferienhauses den Rücken und machen es uns im Esszimmer bequem. Nach dem Leeren zweier 'Kräuter' begeben wir uns ins Wohnzimmer, das uns durch die vorhandene Einrichtung den Eindruck vermittelt, als wären wir gerade als Fremde im Haus einer betagten Frau, die ihre vier Wände nur mal kurz zum Einkaufen verlassen hat. So fragen wir uns, als wir die an der Wand hängenden Bilder von einer Oma und ihren Enkeln betrachten und die Fotoalben der Familie in den Händen halten, ob wir wohl im Badezimmer ihre dritten Zähne vorfinden werden. Angeheitert vom vorherigen Ess- und Trinkgelage schmeißen wir uns auf die äußerst bequeme Couch oder auf den Fußboden, und amüsieren uns über die Bewegungen des Massagestuhls. Getreu dem Motto, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, wirft sich Tobi gegen halb 3 Uhr ins Bett im Nachbarzimmer, und auch wir anderen suchen nach und nach unsere Nachtquartiere auf.
Ferienhaus
Gute Laune am Abend
Tobi als Couchbesetzer ..
.. René bleibt nur der Fußboden
Massagestuhl sorgt für Heiterkeit

Für heute, Samstag, ist eine Fahrt ins etwa 10 km entfernte Neuruppin geplant, und so steigen wir nach dem Frühstück in Omas Esszimmer in Renés Familiengefährt. Nach einem kurzen Zwischenstopp in der vorübergehenden Bleibe von Tobi und seinen drei Mädels, und einem weiteren Halt am Getränkemarkt, leitet uns Tobi ins Zentrum der Fontanestadt. Unweit von der Pfarrkirche St. Marien geparkt, wollen wir einen Blick ins Innere der auch als Veranstaltungszentrum genutzten Kirche werfen, bleiben allerdings vor verschlossener Tür stehen. Wir passieren die ausladende Krone einer Buche und folgen der Karl-Marx-Straße. Den Schulplatz als zentralen Platz der Stadt ziert ein Denkmal von Friedrich Wilhelm II. Statt an die preußische Geschichte denken wir lieber daran, Annika im Blumenladen einen Besuch abzustatten. Ein paar Schritte weiter, an der Ecke des folgenden Blocks, gönnen wir uns in der Paolo Zambon Eisdiele ein leckeres Gelati. Erfrischt biegen wir in den Fontaneplatz ab und spazieren die von einer Allee gesäumte Karl-Liebknecht-Straße entlang, an deren Ende uns Tobi auf seine frühere Schule aufmerksam macht. Auf dem Uferweg flanierend, begegnen wir einem Freund Tobis, den wir später noch einmal wiedertreffen sollen. Bei strahlendem Sonnenschein lassen wir schließlich unseren Blick über den Ruppiner See als mit einer Länge von 14 km längstem See Brandenburgs schweifen. Mit dem Gedanken, im nächsten Jahr irgendwo einen Ausflug per Hausboot zu unternehmen, begeben wir uns wieder in Richtung Innenstadt. Wir lassen die Klosterkirche links liegen, schießen aber in deren Nähe ein Gruppenfoto, um – um es mit Renés Worten zu sagen – „den Verfall zu dokumentieren“. Am Parzival am See, einem 17 Meter hohen Kunstwerk aus Edelstahl, lässt Tobi kein gutes Haar. Auch wir finden, dass es sich bei dieser Statue um keine Schönheit handelt, und schreiten die nahe gelegene Seebrücke entlang, welche von einem jungen Angler gerade zum Fischen genutzt wird. Just im Moment des Vorbeilaufens befördert der Junge einen Fisch an Land, dem er zu unserem Erstaunen einen Kuss gibt, bevor er ihn wieder ins kühle Nass wirft. Auf dem Kirchplatz verweilen wir eine Weile nahe des 1883 vom Bildhauer Max Wiese gestalteten Schinkel-Denkmals, welches den jungen Maler und Baumeister Karl Friedrich Schinkel zeigt, dessen Wiege in Neuruppin stand.
"Um den Verfall zu dokumentieren."
Ruppiner See
Kunst, die nicht begeistert
Schinkel-Denkmal
Auf dem Weg zurück nach Walsleben kaufen wir für das heutige Abendessen ein. Bevor wir uns an die Zubereitung der Speisen machen, entscheiden wir uns für einen Spaziergang durch Tobis neuen Wohnort, der etwa 800 Einwohner zählt; die im Mühlenweg lebenden, lustig dreinblickenden Alpakas, deren Wolle zu Bettwaren verarbeitet wird, nicht mitgerechnet. Zurück im Ferienhaus servieren uns Christian und René schließlich Nudeln mit zwei verschiedenen Tomatensoßen, die allen Beteiligten sehr gut schmecken. Farblich passend, tischt Christian als Nachspeise in Alkohol getränkte Wassermelone auf.
Abendspaziergang
Spaghetti Creazione a la Christian und René
Nach einem guten Frühstück treten wir am Sonntag gegen 10 Uhr die Heimfahrt an und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen. Möglicherweise wird dieses noch im selben Jahr in Walsleben stattfinden, sind wir doch auf die Fortschritte der Ausbauarbeiten sehr gespannt.

> 10./13. Mai <

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