Pfingst-Radtour - Von Wittenberge nach Werben

Aus Erfahrung weiß ich, dass ich etwa 45 Minuten für die Fahrt von Seehausen nach Wittenberge brauche, und schwinge mich nach dem Gießen meiner durstigen Tomatenpflänzchen am Samstag gegen 8.30 Uhr auf mein Rad. Gerade einmal ein paar Meter auf dem Aland-Deich unterwegs, sehe ich direkt vor mir fünf Weißstörche auf dem gepflasterten Weg stehen. Ein schöner Anblick, denke ich, als sie mir schließlich Platz machen und sich in die Lüfte begeben. Sicher werde ich heute noch weitere Exemplare zu Gesicht bekommen, freue ich mich, denn unsere geplante Radtour wird uns durch das Storchendorf Rühstädt führen. Doch bis dahin dauert es noch eine Weile, und so halte ich, neugierig nach links und rechts blickend, weiter nach tierischen Bewohnern der Feldmark Ausschau. Auf die Straße brauche ich mich kaum zu konzentrieren, habe ich sie heute doch offensichtlich ganz für mich allein. Zu meiner Rechten entdecke ich einen Fasan, und erinnere mich, dass ich letztes Jahr etwa um die selbe Zeit an der Schönberger Straße ein Exemplar gesichtet hatte. Ich erfreue mich an den blühenden Wegrändern und erschrecke, als kurz vor Geestgottberg auf der linken Seite ein Reh durchs hohe Gras huscht. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass ich gut in der Zeit liege, und so überlege ich, meinen Radtour-Gefährten einige der hübschen Wiesen-Margeriten als kleines Souvenir mitzubringen. Da ich aber am vereinbarten Treffpunkt mein Frühstück nachholen und an der Tankstelle den Reifendruck überprüfen möchte, was doch ein wenig Zeit frisst, entscheide ich mich, die Pflänzchen stehen zu lassen.

Ohne Dekoration am Rad lasse ich den Hügel zwischen der alten Wittenberger Straße und der B189 hinter mir, überquere die Elbe und erreiche schließlich Wittenberge. Das kann doch nicht wahr sein, fluche ich, als bei der Luftdruckmessung an der Tankstelle plötzlich die Luft aus dem Reifen entweicht. Ich ärgere mich, mich vorab nicht mit der für mich fremden Ventil-Art beschäftigt zu haben und sehe mich in Gedanken mein Rad zum nächstgelegenen Fahrradgeschäft schieben. Der Zufall meint es heute aber gut mit mir und lässt mich nur wenige Meter von der Tankstelle entfernt drei Radfahrern begegnen, die mir schließlich erklären, dass der kleine Stift im Ventil gedrückt werden muss. Mist, denke ich mir, darüber hatte ich tatsächlich mal etwas gelesen. Erleichtert bedanke ich mich und stehe einige Minuten nach der vereinbarten Zeit Ines und Franny gegenüber, die etwas mehr als 30 Minuten Busluft schnupperten. Wo Marcel sei, fragen sie mich, wenig überrascht von seiner fehlenden Gegenwart. Ich lasse sie wissen, was ich selbst erst wenige Minuten zuvor durch ein Telefongespräch erfahren habe. In etwa 20 Minuten wird er am Treffpunkt sein. Die Sonne lacht uns entgegen, freuen wir uns, als Marcel und Kai schließlich eintreffen. Bisher war der Himmel sehr wolkenverhangen. Nachdem Marcel sein Rad ins Freie gekramt hat und wir uns von Kai verabschiedeten, treten wir gegen 10 Uhr schließlich gemeinsam in die Pedalen und schieben unsere Räder nahe der Elbbrücke auf die Deichkrone. Wir erinnern uns, dass wir vor knapp zwei Jahren ebenfalls am rechten Elbufer fuhren, allerdings flussabwärts, und sind zuversichtlich, flussaufwärts auf einem ebenso gut ausgebauten Radweg unterwegs zu sein. Vor uns liegen knapp 50 km.

Wir schaffen es tatsächlich, die Gaststätte zum Fährmann zu passieren, ohne einzukehren. Stattdessen machen wir auf der Höhe Schade-Beuster unsere erste Rast. Neben einer Sitzbank breiten wir unsere Decken aus und verwöhnen uns mit einem ausgiebigen Frühstück aus Karotten, Gurken, Oblaten, Eiern etc. Viele Radfahrer passieren unser kleines Frühstücksidyll. Gut gestärkt schwingen wir uns wieder in die Sättel und erreichen den Wittenberger Ortsteil Hinzdorf. Eine Informationstafel gibt Auskunft über die Kopfweiden, die in der Elbtalaue zahlreich zu finden sind und einst einen wichtigen Wirtschaftszweig der Region darstellten. Ohne im Pfannkuchenhaus vorbeizuschauen, verlassen wir den Ort, an dessen Ausgang ich meinem Gesicht eine Schicht Sonnenmilch gönne. Vom Aussichtsturm 'Bälower Elbblick' genießen wir eine herrliche Sicht über die weite Elblandschaft. Teppiche aus Kuckuckslichtnelken und Wiesenmargeriten schmücken die Wiesen beidseits des Deich-Radweges. Auch am Fahrrad machen die Blüten eine gute Figur, denke ich mir, und entführe einige von ihnen, bevor ich meinen drei Tour-Gefährten folge, die längst auf den Plattenweg in Richtung Rühstädt abgebogen sind.

Zwar werden die hübschen Mitbringsel freudig in Empfang genommen und am Rad positioniert, doch erhalten die Blumen nur kurz Aufmerksamkeit, denn da wir uns am Fuße des Walter-Fritze-Fotopunktes befinden, stehlen ihnen die berühmtesten Bewohner Rühstädts die Show. Um einige der etwa 30 Weißstorchenpaare, die hier, im Europäischen Storchendorf, jedes Jahr ihre Jungen groß ziehen, zu beobachten, schreiten wir die Treppe zum Balkon hinauf. Zahlreiche Horste thronen auf den Dächern der umliegenden Gebäude. Allein auf einem der Dächer zählen wir vier Horste. Die aufmerksame Franny gewinnt schnell den Eindruck, dass es sich bei einem der Horstbesetzer um eine Attrappe handelt, rührt sich der Vogel doch kein bisschen. Die Frage, woher die Legende stammt, dass Meister Adebar die Babys bringt, taucht plötzlich auf, ohne dass sich eine Antwort darauf findet. Später werde ich lesen, dass diese Geschichte hierzulande im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm, als Sexualität ein gesellschaftliches Tabuthema war und Eltern bei der Aufklärung ihrer Sprösslinge entsprechend kreativ wurden. Beim Durchfahren Rühstädts passieren wir mehrere Tafeln, die mit Fotos und Geschichten über den Alltag früherer Zeiten informieren.

Groß ist die Enttäuschung bei den Kaffee-Junkies unter uns, da keines der im Ort befindlichen Lokale aufgrund geschlossener Gesellschaften geöffnet ist. So verweilen wir einige Minuten vor dem 'Landgasthaus Storchenkrug' und treffen auf andere, ebenso unzufriedene Radwanderer. Die Suche nach einem stillen Örtchen führt uns schließlich zum vom NABU Brandenburg betriebenen Besucherzentrum, wo sich die Gelegenheit bietet, den Kaffeedurst mit Kaffee aus dem Automaten zu stillen. Wir entscheiden uns gegen eine geführte Wanderung und fahren weiter Richtung Gnevsdorf, wo die Havel als 10 km langer Kanal, dem Gnevsdorfer Vorfluter, in die Elbe mündet. An einer Weggabelung informiert ein Schild über Bauarbeiten auf dem Elberadweg und eine infolgedessen zu fahrende Umleitung. Etwas orientierungslos legen wir eine spontane Pause ein. Die meisten Pedalritter, die an uns vorbeifahren, wirken hinsichtlich der Frage, welchen Weg sie einschlagen sollen, ähnlich unschlüssig, wählen jedoch den direkten Weg über die angebliche Baustelle. Nur ein Radfahrer, der über die aktuelle Lage bestens informiert zu sein scheint, entscheidet sich für die Umleitung. Allein die Tatsache, dass er allein unterwegs ist, veranlasst Franny zu der Äußerung, dass dieser Typ merkwürdig sei.

Wir legen es darauf an, ignorieren das Schild und folgen weiter dem Radweg. Nach der Überquerung eines Wehrs schaue ich mir eine extra für Schwalben gebaute Nesthilfe in Form eines Turmes an. Bald ist die Fähre in Sicht, die wir nach dem Passieren des Gasthauses Mühlenholz gerade noch rechtzeitig vor dem Ablegen erreichen. Zu unserer Überraschung schließt der NP in Werben samstags bereits um 16 Uhr, sodass wir direkt weiter zum Freibad radeln. Hier treffen wir Ingrid, die berichtet, dass sie als Schulmädchen 1968 beim Ausheben des Bades half. Schnell sind eins und eins addiert, und wir lassen uns vom Bademeister bestätigen, dass sich die Einweihung des Freibades im kommenden Jahr zum 50. Mal jährt.

Nach einem erfrischenden Bad suchen wir die hinter dem Freibad in der Bungalowsiedlung gelegene Datsche auf. Schnell sind die Schlaflager zugeordnet und der Grill angefeuert. Wir sind hungrig, liegen doch etwa 50 km Radstrecke hinter uns. Nachdem die Mädels auch den letzten freien Zentimeter ihrer Haut mit Mückenspray versorgen, bringt Marcel das Grillgut auf den Tisch. Mit vollen Mägen begeben wir uns schließlich ins Wohnzimmer, wo wir uns den argentinischen Film 'Wild Tales' ansehen, der entgegen meiner Erwartung nicht allen gefällt, was lautstark zum Ausdruck gebracht wird. Offensichtlich ist die Couch auch zum Schlafen geeignet, denn Marcel macht nach dem Filmende keine Anstalten, sie zu verlassen. Während im Nebenraum Zentimeter für Zentimeter nach potentiellen achtbeinigen Übernachtungsgästen abgesucht wird, schmeiße ich mich in mein Nachtlager. Kaum befinde ich mich in der Waagerechten, beginnt mein Magen zu rumoren. Ganz plötzlich verspüre ich den Drang, das Klo aufzusuchen, springe auf und taste mich ins Bad. Mit Schwindelgefühl verbringe ich hier einige Minuten, ehe ich mich zurück ins Nachtlager schleppe. Vermutlich liegt dieser nächtlichen Attacke ein Hitzeschlag oder Überfressen zugrunde, möglich ist auch eine Kombination von beidem. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn ein Anruf von Vati am frühen Morgen reißt mich aus dem Schlaf. Nach dem Austausch weniger Worte versinkt meine rechte Gesichtshälfte erneut im Kopfkissen, doch entschließe ich mich kurz darauf doch zum Aufstehen.

Mit meinem Handtuch spaziere ich zum nahe gelegenen See. Kaum stehe ich im knietiefen Wasser, nähert sich mir ein Schwanenpärchen, das vermutlich irgendwo in der Nähe sein Gelege hat. Schnellen Schrittes suche ich am Ufer nach einem anderen Zugang zum Wasser, doch die Schwäne folgen mir. Eine Frau, die gerade dabei ist, gemeinsam mit ihren zwei Kindern einen am Bungalow gefundenen Frosch im See auszusetzen, zeigt mir schließlich eine etwas entferntere Stelle, die sich zum Baden eignet. Zwar könnte ich aufgrund einer geringen Seetiefe entlang eines auf dem Seeboden befindlichen Stegs bis ans andere Ufer gehen, doch drehe ich nach wenigen Metern um, denn eine Begegnung mit den Schwänen im Wasser möchte ich lieber vermeiden. Beim gemeinsamen Frühstück philosophieren wir über zukünftige Urlaubsziele und beschließen, sämtliche Ideen in einen Hut zu werfen. Welcher Städtetrip uns als nächstes bevorsteht, entscheidet also das Los! Gegen 12 Uhr brechen wir in Richtung Seehausen auf, treffen uns aber am Abend nochmals im Bungalow.

> 19./20. Mai <

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