Pfingst-Radtour - Von Wittenberge nach Werben

Aus Erfahrung weiß ich, dass ich etwa 45 Minuten für die Fahrt von Seehausen nach Wittenberge brauche, und schwinge mich nach dem Gießen meiner durstigen Tomatenpflänzchen am Samstag gegen 8.30 Uhr auf mein Rad. Gerade einmal ein paar Meter auf dem Aland-Deich unterwegs, sehe ich direkt vor mir fünf Weißstörche auf dem gepflasterten Weg stehen. Ein schöner Anblick, denke ich, als sie mir schließlich Platz machen und sich in die Lüfte begeben. Sicher werde ich heute noch weitere Exemplare zu Gesicht bekommen, freue ich mich, denn unsere geplante Radtour wird uns durch das Storchendorf Rühstädt führen. Doch bis dahin dauert es noch eine Weile, und so halte ich, neugierig nach links und rechts blickend, weiter nach tierischen Bewohnern der Feldmark Ausschau. Auf die Straße brauche ich mich kaum zu konzentrieren, habe ich sie heute doch offensichtlich ganz für mich allein. Zu meiner Rechten entdecke ich einen Fasan, und erinnere mich, dass ich letztes Jahr etwa um die selbe Zeit an der Schönberger Straße ein Exemplar gesichtet hatte. Ich erfreue mich an den blühenden Wegrändern und erschrecke, als kurz vor Geestgottberg auf der linken Seite ein Reh durchs hohe Gras huscht. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass ich gut in der Zeit liege, und so überlege ich, meinen Radtour-Gefährten einige der hübschen Wiesen-Margeriten als kleines Souvenir mitzubringen. Da ich aber am vereinbarten Treffpunkt mein Frühstück nachholen und an der Tankstelle den Reifendruck überprüfen möchte, was doch ein wenig Zeit frisst, entscheide ich mich, die Pflänzchen stehen zu lassen.

Ohne Dekoration am Rad lasse ich den Hügel zwischen der alten Wittenberger Straße und der B189 hinter mir, überquere die Elbe und erreiche schließlich Wittenberge. Das kann doch nicht wahr sein, fluche ich, als bei der Luftdruckmessung an der Tankstelle plötzlich die Luft aus dem Reifen entweicht. Ich ärgere mich, mich vorab nicht mit der für mich fremden Ventil-Art beschäftigt zu haben und sehe mich in Gedanken mein Rad zum nächstgelegenen Fahrradgeschäft schieben. Der Zufall meint es heute aber gut mit mir und lässt mich nur wenige Meter von der Tankstelle entfernt drei Radfahrern begegnen, die mir schließlich erklären, dass der kleine Stift im Ventil gedrückt werden muss. Mist, denke ich mir, darüber hatte ich tatsächlich mal etwas gelesen. Erleichtert bedanke ich mich und stehe einige Minuten nach der vereinbarten Zeit Ines und Franny gegenüber, die etwas mehr als 30 Minuten Busluft schnupperten. Wo Marcel sei, fragen sie mich, wenig überrascht von seiner fehlenden Gegenwart. Ich lasse sie wissen, was ich selbst erst wenige Minuten zuvor durch ein Telefongespräch erfahren habe. In etwa 20 Minuten wird er am Treffpunkt sein. Die Sonne lacht uns entgegen, freuen wir uns, als Marcel und Kai schließlich eintreffen. Bisher war der Himmel sehr wolkenverhangen. Nachdem Marcel sein Rad ins Freie gekramt hat und wir uns von Kai verabschiedeten, treten wir gegen 10 Uhr schließlich gemeinsam in die Pedalen und schieben unsere Räder nahe der Elbbrücke auf die Deichkrone. Wir erinnern uns, dass wir vor knapp zwei Jahren ebenfalls am rechten Elbufer fuhren, allerdings flussabwärts, und sind zuversichtlich, flussaufwärts auf einem ebenso gut ausgebauten Radweg unterwegs zu sein. Vor uns liegen knapp 50 km.

Wir schaffen es tatsächlich, die Gaststätte zum Fährmann zu passieren, ohne einzukehren. Stattdessen machen wir auf der Höhe Schade-Beuster unsere erste Rast. Neben einer Sitzbank breiten wir unsere Decken aus und verwöhnen uns mit einem ausgiebigen Frühstück aus Karotten, Gurken, Oblaten, Eiern etc. Viele Radfahrer passieren unser kleines Frühstücksidyll. Gut gestärkt schwingen wir uns wieder in die Sättel und erreichen den Wittenberger Ortsteil Hinzdorf. Eine Informationstafel gibt Auskunft über die Kopfweiden, die in der Elbtalaue zahlreich zu finden sind und einst einen wichtigen Wirtschaftszweig der Region darstellten. Ohne im Pfannkuchenhaus vorbeizuschauen, verlassen wir den Ort, an dessen Ausgang ich meinem Gesicht eine Schicht Sonnenmilch gönne. Vom Aussichtsturm 'Bälower Elbblick' genießen wir eine herrliche Sicht über die weite Elblandschaft. Teppiche aus Kuckuckslichtnelken und Wiesenmargeriten schmücken die Wiesen beidseits des Deich-Radweges. Auch am Fahrrad machen die Blüten eine gute Figur, denke ich mir, und entführe einige von ihnen, bevor ich meinen drei Tour-Gefährten folge, die längst auf den Plattenweg in Richtung Rühstädt abgebogen sind.

Zwar werden die hübschen Mitbringsel freudig in Empfang genommen und am Rad positioniert, doch erhalten die Blumen nur kurz Aufmerksamkeit, denn da wir uns am Fuße des Walter-Fritze-Fotopunktes befinden, stehlen ihnen die berühmtesten Bewohner Rühstädts die Show. Um einige der etwa 30 Weißstorchenpaare, die hier, im Europäischen Storchendorf, jedes Jahr ihre Jungen groß ziehen, zu beobachten, schreiten wir die Treppe zum Balkon hinauf. Zahlreiche Horste thronen auf den Dächern der umliegenden Gebäude. Allein auf einem der Dächer zählen wir vier Horste. Die aufmerksame Franny gewinnt schnell den Eindruck, dass es sich bei einem der Horstbesetzer um eine Attrappe handelt, rührt sich der Vogel doch kein bisschen. Die Frage, woher die Legende stammt, dass Meister Adebar die Babys bringt, taucht plötzlich auf, ohne dass sich eine Antwort darauf findet. Später werde ich lesen, dass diese Geschichte hierzulande im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm, als Sexualität ein gesellschaftliches Tabuthema war und Eltern bei der Aufklärung ihrer Sprösslinge entsprechend kreativ wurden. Beim Durchfahren Rühstädts passieren wir mehrere Tafeln, die mit Fotos und Geschichten über den Alltag früherer Zeiten informieren.

Groß ist die Enttäuschung bei den Kaffee-Junkies unter uns, da keines der im Ort befindlichen Lokale aufgrund geschlossener Gesellschaften geöffnet ist. So verweilen wir einige Minuten vor dem 'Landgasthaus Storchenkrug' und treffen auf andere, ebenso unzufriedene Radwanderer. Die Suche nach einem stillen Örtchen führt uns schließlich zum vom NABU Brandenburg betriebenen Besucherzentrum, wo sich die Gelegenheit bietet, den Kaffeedurst mit Kaffee aus dem Automaten zu stillen. Wir entscheiden uns gegen eine geführte Wanderung und fahren weiter Richtung Gnevsdorf, wo die Havel als 10 km langer Kanal, dem Gnevsdorfer Vorfluter, in die Elbe mündet. An einer Weggabelung informiert ein Schild über Bauarbeiten auf dem Elberadweg und eine infolgedessen zu fahrende Umleitung. Etwas orientierungslos legen wir eine spontane Pause ein. Die meisten Pedalritter, die an uns vorbeifahren, wirken hinsichtlich der Frage, welchen Weg sie einschlagen sollen, ähnlich unschlüssig, wählen jedoch den direkten Weg über die angebliche Baustelle. Nur ein Radfahrer, der über die aktuelle Lage bestens informiert zu sein scheint, entscheidet sich für die Umleitung. Allein die Tatsache, dass er allein unterwegs ist, veranlasst Franny zu der Äußerung, dass dieser Typ merkwürdig sei.

Wir legen es darauf an, ignorieren das Schild und folgen weiter dem Radweg. Nach der Überquerung eines Wehrs schaue ich mir eine extra für Schwalben gebaute Nesthilfe in Form eines Turmes an. Bald ist die Fähre in Sicht, die wir nach dem Passieren des Gasthauses Mühlenholz gerade noch rechtzeitig vor dem Ablegen erreichen. Zu unserer Überraschung schließt der NP in Werben samstags bereits um 16 Uhr, sodass wir direkt weiter zum Freibad radeln. Hier treffen wir Ingrid, die berichtet, dass sie als Schulmädchen 1968 beim Ausheben des Bades half. Schnell sind eins und eins addiert, und wir lassen uns vom Bademeister bestätigen, dass sich die Einweihung des Freibades im kommenden Jahr zum 50. Mal jährt.

Nach einem erfrischenden Bad suchen wir die hinter dem Freibad in der Bungalowsiedlung gelegene Datsche auf. Schnell sind die Schlaflager zugeordnet und der Grill angefeuert. Wir sind hungrig, liegen doch etwa 50 km Radstrecke hinter uns. Nachdem die Mädels auch den letzten freien Zentimeter ihrer Haut mit Mückenspray versorgen, bringt Marcel das Grillgut auf den Tisch. Mit vollen Mägen begeben wir uns schließlich ins Wohnzimmer, wo wir uns den argentinischen Film 'Wild Tales' ansehen, der entgegen meiner Erwartung nicht allen gefällt, was lautstark zum Ausdruck gebracht wird. Offensichtlich ist die Couch auch zum Schlafen geeignet, denn Marcel macht nach dem Filmende keine Anstalten, sie zu verlassen. Während im Nebenraum Zentimeter für Zentimeter nach potentiellen achtbeinigen Übernachtungsgästen abgesucht wird, schmeiße ich mich in mein Nachtlager. Kaum befinde ich mich in der Waagerechten, beginnt mein Magen zu rumoren. Ganz plötzlich verspüre ich den Drang, das Klo aufzusuchen, springe auf und taste mich ins Bad. Mit Schwindelgefühl verbringe ich hier einige Minuten, ehe ich mich zurück ins Nachtlager schleppe. Vermutlich liegt dieser nächtlichen Attacke ein Hitzeschlag oder Überfressen zugrunde, möglich ist auch eine Kombination von beidem. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn ein Anruf von Vati am frühen Morgen reißt mich aus dem Schlaf. Nach dem Austausch weniger Worte versinkt meine rechte Gesichtshälfte erneut im Kopfkissen, doch entschließe ich mich kurz darauf doch zum Aufstehen.

Mit meinem Handtuch spaziere ich zum nahe gelegenen See. Kaum stehe ich im knietiefen Wasser, nähert sich mir ein Schwanenpärchen, das vermutlich irgendwo in der Nähe sein Gelege hat. Schnellen Schrittes suche ich am Ufer nach einem anderen Zugang zum Wasser, doch die Schwäne folgen mir. Eine Frau, die gerade dabei ist, gemeinsam mit ihren zwei Kindern einen am Bungalow gefundenen Frosch im See auszusetzen, zeigt mir schließlich eine etwas entferntere Stelle, die sich zum Baden eignet. Zwar könnte ich aufgrund einer geringen Seetiefe entlang eines auf dem Seeboden befindlichen Stegs bis ans andere Ufer gehen, doch drehe ich nach wenigen Metern um, denn eine Begegnung mit den Schwänen im Wasser möchte ich lieber vermeiden. Beim gemeinsamen Frühstück philosophieren wir über zukünftige Urlaubsziele und beschließen, sämtliche Ideen in einen Hut zu werfen. Welcher Städtetrip uns als nächstes bevorsteht, entscheidet also das Los! Gegen 12 Uhr brechen wir in Richtung Seehausen auf, treffen uns aber am Abend nochmals im Bungalow.

> 19./20. Mai <

Anpacken in Walsleben, Bummeln durch Neuruppin

Dieses Jahr folgen wir Renés Vorschlag, dem Hausausbauer Tobias einen Besuch abzustatten, und ihm einen Tag lang tatkräftig unter die Arme zu greifen, denn an Arbeit mangelt es laut des Bauherrn in Walsleben keineswegs. Schnell ist mit dem Himmelfahrtswochenende ein für fast alle willigen Bauhelfer geeigneter Termin gefunden, an welchem wir schließlich nicht nur mit anpacken, sondern auch das nahe gelegene Neuruppin erkunden.

Da für den frühen Abend Gewitter angesagt sind, schwinge ich mich kurz nach 10 Uhr auf meinen mit zwei prallgefüllten Fahrradtaschen beladenen Drahtesel. Für die Fahrt bis Walsleben habe ich sechs bis sieben Stunden eingeplant, mehrere kleine Pausen sowie einen Sprung in einen an der Strecke liegenden See eingerechnet. Auf die etwa 75 km lange Route, die vor mir liegt, bin ich sehr gespannt, stellt diese Streckenlänge für mich doch eine Premiere dar. Aufgrund der sehr ausgefahrenen Fahrbahn zwischen Schönberg und Neukirchen entscheide ich mich, über Falkenberg und Lichterfelde zu fahren, und folge ab Wendemark der L2, die mich durch die kleinste Hansestadt der Republik führt. Auf dem Werbener Marktplatz angekommen, nehme ich trotz meiner Kopfhörer das Klingeln meines Telefons wahr, bringe mein Zweirad zum Stehen und krame das Handy ins Freie. Während ich vergeblich in das Telefon brülle und von Tobias kein Wort vernehme, erschrecke ich, als mein Rad plötzlich umfällt und sich mein Obst auf der Straße verteilt. Ich stelle fest, dass sich ein mit zwei vollen Hinterradtaschen beladenes Fahrrad nicht so einfach durch das Anheben des Fahrradsattels zur Seite stellen lässt. Nachdem ich meine Habseligkeiten wieder verstaut und Tobias schließlich erfolgreich Auskunft über meine geplante Ankunftszeit erteilt habe, mache ich mich auf den Weg ins 4 km entfernte Räbel. War ich bisher ausschließlich auf einer asphaltierten Fahrbahn unterwegs, erfordert das Fahren auf dem aus Sand und Split bestehenden Fahrbahnrand Konzentration. Ich habe Glück, denn die Gierseilfähre, die allein durch die Strömung bewegt wird, liegt gerade an der linkselbischen Seite an. Bei herrlichem Sonnenschein lasse ich mich von ihr über den Strom tragen.

Das 'Haus der Flüsse' lasse ich links liegen, lasse die Insel- und Domstadt Havelberg in östlicher Richtung hinter mir, verlasse die L4 und biege in Müggenbusch rechts in die beschattete Straße nach Wöplitz ein. Eine fehlende Beschilderung an einer Weggabelung zwingt mich, mich für einen Weg zu entscheiden. Intuitiv wähle ich den linken, und treffe kurz darauf einen Radfahrer, dem diese Region ebenfalls fremd ist. Nach mehreren Kilometern durch bewaldetes Gebiet stoße ich nahe des Aussichtsturms Lütow an dem Flüsschen Neue Jäglitz auf eine weitere Weggabelung. Von der Info-Tafel erhoffe ich mir Hilfe zur Orientierung, doch werde ich enttäuscht, und schlage stattdessen beim Lesen des Satzes „Der Kranich, welcher dieser ..“ in Gedanken die Hände über dem Kopf zusammen. Gemeinsam mit dem mir bekannten Radfahrer, der mich mittlerweile eingeholt hat, erkundige ich mich bei zwei anderen Pedalrittern nach dem Weg. Dank ihnen vermeide ich es, einen Umweg über Vehlgast zu fahren, und erreiche den Ort Damerow. Hier, kurz vor der Ländergrenze Sachsen-Anhalt/Brandenburg, irre ich orientierungslos umher, bis ich schließlich auf einen Mann treffe, der mir freundlich Auskunft gibt. So erklärt er mir, dass der direkteste Weg nach Neustadt (Dosse) über Joachimshof, Koppenbrück und Goldbeck führt. Darüber, dass ich einen Teil der Strecke aufgrund eines zu sandigen Untergrundes voraussichtlich vom Rad steigen muss, bin ich mir dank seiner Info im Klaren. Von der langen Kopfsteinpflasterstraße mit schmalem und holprigen Randstreifen erfahre ich vom Anwohner, der vermutlich nicht Rad fährt – so lässt es seine voluminöse Erscheinung jedenfalls vermuten – allerdings nichts. In Neustadt (Dosse) angekommen, schaue ich mir die Informationstafel an, und halte anschließend beim Durchfahren des Ortes nach dem örtlichen Freibad sowie dem nahe gelegenen See Ausschau. Da ich beides nicht entdecken kann, folge ich der B102 in Richtung Bückwitz, um mich im Bückwitzer See abzukühlen. Daraus wird wohl nichts, ahne ich, als ich mich der hiesigen Badestelle nähere und bei lautstarker Musik auf eine große Menschenmenge treffe. Zwei vergnügte Passantinnen, die ich anspreche, teilen mir mit, dass es am See keinen weiteren Zugang zum Baden gibt. Allerdings gäbe es in Wusterhausen/Dosse einen großen Badesee, und so setze ich meine Fahrt auf dem die B5 begleitenden Radweg fort.

Im Strandbad Wusterhausen am Klempowsee verweile ich unweit eines sich sonnenden Schwans eine Stunde, bevor ich mich bei zunehmend verdunkelndem Himmel wieder auf mein Rad schwinge. Als die Orte Gartow, Dessow und Lögow hinter mir liegen, biege ich links in das weniger slawisch klingende Walsleben ab. Was für ein Empfang, denke ich mir, als beim Passieren der Dorfkirche ein Blasorchester zu Spielen beginnt. Ich frage mich nach der Bergstraße durch, wundere mich kurz über eine vermeintlich inkonsequente Vergabe der Hausnummern, als ich Tobi plötzlich hinter dem Tor mit der von mir gesuchten Hausnummer entdecke. Freudig begrüßen wir uns, und ich nehme es nicht persönlich, dass Tobis Mutter, Opa und Halbschwester kurz nach meiner Ankunft die Heimfahrt antreten. Eine detaillierte Hausbesichtigung verschieben wir auf später, damit Tobi nach Hennings geplanter Anreise um 20:30 Uhr nicht alles wiederholen muss. Nachdem auch Henne mit Grillgut versorgt wurde und wir von Tobi viel über die vorangegangenen Arbeiten im Haus und am Dach erfahren, verkrieche ich mich gegen Mitternacht ins auf dem benachbarten Grundstück aufgebaute Zelt. Führt Henne im Nachbarzelt ein Selbstgespräch, frage ich mich, als ich ihn wenig später neben mir Portugiesisch sprechen höre. Gegenüber einer leichten Aggression gewinnt schließlich die Neugierde beim Zuhören der mir nicht ganz unbekannten Sprache die Oberhand, und so lasse ich Henne weiter ins entfernte Brasilien telefonieren.
Nachtquartiere
Noch am Abend erzählte uns Tobi, dass sich die Estrichleger für den Freitagmorgen angekündigt haben, und so begegne ich dem Bauherrn und zwei Handwerkern pünktlich um 7:30 Uhr im zukünftigen Wohnzimmer. Dass ich mich so früh auf der Baustelle einfinde, liegt zum einen an meinem Interesse, beim Estrichlegen zuzusehen, zum anderen an der Tatsache, dass sich mein Zelt in der Morgensonne bereits dermaßen aufgeheizt hatte, dass ich es in seinem Inneren nicht mehr aushielt. Zu Tobis positiver Überraschung schreiten die routinierten Handwerker, mit denen wir die vom Bauherrn mitgebrachten belegten Brote hungrig verschlingen, mit ihrer Arbeit schnell voran. Bis zum Mittag werden sie mit dem Wohn- und Schlafzimmer sowie der Küche und dem Flur fertig sein, heißt es, und um sie entsprechend zu entlohnen, fahren Tobi und ich nach Neuruppin zum Geldabheben. Zurück in Walsleben treffen wir auf den mittlerweile ausgeschlafenen Henning, mit dem wir uns schließlich in die Gartenarbeit stürzen, da das Haus heute und in den nächsten Tagen nicht betreten werden darf. Nachdem wir auf dem Innenhof ungeliebtes Wurzelwerk ausgraben, bewaffnen wir uns mit Freischneider und Astschere, und rücken den Brennnesseln sowie Buschwerk im Garten zu Leibe. Über Christians Ankunft sind wir besonders froh, sorgt er doch mit den mitgebrachten Pizzen dafür, dass wir uns für die nächsten Aktionen stärken können. So dauert es nicht lang', und René stößt zur Gruppe, bereit, vom Bauherrn als unbrauchbar oder störend erklärte Gehölze von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Während René auf der Wiese munter seine Säge schwingt, widmen wir uns nach reichlicher Überlegung der einem Hochsicherheitsgefängnis ähnelnden Zaunanlage, welche vom Vorbesitzer vermutlich errichtet wurde, um den Fuchs vom geliebten Federvieh fernzuhalten. Meter für Meter bauen wir eifrig den Maschendrahtzaun zurück und ich scherze laut, dass wir heute keinen Stein mehr auf dem anderen lassen.
Christian amüsiert sich, während René Kleinholz macht
Kreative Pause
Der Zaun muss weg!


Bauherr und Bauherrin zeigen sich sichtlich zufrieden über das Ergebnis des heutigen Schaffens, und so gehen wir zum gemütlichen Teil des Tages über. Dieser findet im von Tobi angemieteten Ferienhaus statt, welches sich nur ein paar Häuser entfernt befindet und seinem früheren Religionslehrer gehört, der wiederum das Nachbarhaus bewohnt. Da der Vermieter gerade urlaubt, lernen wir ihn nicht kennen. Der Postkasten im Nachbarhaus verrät lediglich, dass er taz-Leser ist. Mit ausreichend Grillgut auf dem Teller kehren wir dem Hof des Ferienhauses den Rücken und machen es uns im Esszimmer bequem. Nach dem Leeren zweier 'Kräuter' begeben wir uns ins Wohnzimmer, das uns durch die vorhandene Einrichtung den Eindruck vermittelt, als wären wir gerade als Fremde im Haus einer betagten Frau, die ihre vier Wände nur mal kurz zum Einkaufen verlassen hat. So fragen wir uns, als wir die an der Wand hängenden Bilder von einer Oma und ihren Enkeln betrachten und die Fotoalben der Familie in den Händen halten, ob wir wohl im Badezimmer ihre dritten Zähne vorfinden werden. Angeheitert vom vorherigen Ess- und Trinkgelage schmeißen wir uns auf die äußerst bequeme Couch oder auf den Fußboden, und amüsieren uns über die Bewegungen des Massagestuhls. Getreu dem Motto, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, wirft sich Tobi gegen halb 3 Uhr ins Bett im Nachbarzimmer, und auch wir anderen suchen nach und nach unsere Nachtquartiere auf.
Ferienhaus
Gute Laune am Abend
Tobi als Couchbesetzer ..
.. René bleibt nur der Fußboden
Massagestuhl sorgt für Heiterkeit

Für heute, Samstag, ist eine Fahrt ins etwa 10 km entfernte Neuruppin geplant, und so steigen wir nach dem Frühstück in Omas Esszimmer in Renés Familiengefährt. Nach einem kurzen Zwischenstopp in der vorübergehenden Bleibe von Tobi und seinen drei Mädels, und einem weiteren Halt am Getränkemarkt, leitet uns Tobi ins Zentrum der Fontanestadt. Unweit von der Pfarrkirche St. Marien geparkt, wollen wir einen Blick ins Innere der auch als Veranstaltungszentrum genutzten Kirche werfen, bleiben allerdings vor verschlossener Tür stehen. Wir passieren die ausladende Krone einer Buche und folgen der Karl-Marx-Straße. Den Schulplatz als zentralen Platz der Stadt ziert ein Denkmal von Friedrich Wilhelm II. Statt an die preußische Geschichte denken wir lieber daran, Annika im Blumenladen einen Besuch abzustatten. Ein paar Schritte weiter, an der Ecke des folgenden Blocks, gönnen wir uns in der Paolo Zambon Eisdiele ein leckeres Gelati. Erfrischt biegen wir in den Fontaneplatz ab und spazieren die von einer Allee gesäumte Karl-Liebknecht-Straße entlang, an deren Ende uns Tobi auf seine frühere Schule aufmerksam macht. Auf dem Uferweg flanierend, begegnen wir einem Freund Tobis, den wir später noch einmal wiedertreffen sollen. Bei strahlendem Sonnenschein lassen wir schließlich unseren Blick über den Ruppiner See als mit einer Länge von 14 km längstem See Brandenburgs schweifen. Mit dem Gedanken, im nächsten Jahr irgendwo einen Ausflug per Hausboot zu unternehmen, begeben wir uns wieder in Richtung Innenstadt. Wir lassen die Klosterkirche links liegen, schießen aber in deren Nähe ein Gruppenfoto, um – um es mit Renés Worten zu sagen – „den Verfall zu dokumentieren“. Am Parzival am See, einem 17 Meter hohen Kunstwerk aus Edelstahl, lässt Tobi kein gutes Haar. Auch wir finden, dass es sich bei dieser Statue um keine Schönheit handelt, und schreiten die nahe gelegene Seebrücke entlang, welche von einem jungen Angler gerade zum Fischen genutzt wird. Just im Moment des Vorbeilaufens befördert der Junge einen Fisch an Land, dem er zu unserem Erstaunen einen Kuss gibt, bevor er ihn wieder ins kühle Nass wirft. Auf dem Kirchplatz verweilen wir eine Weile nahe des 1883 vom Bildhauer Max Wiese gestalteten Schinkel-Denkmals, welches den jungen Maler und Baumeister Karl Friedrich Schinkel zeigt, dessen Wiege in Neuruppin stand.
"Um den Verfall zu dokumentieren."
Ruppiner See
Kunst, die nicht begeistert
Schinkel-Denkmal
Auf dem Weg zurück nach Walsleben kaufen wir für das heutige Abendessen ein. Bevor wir uns an die Zubereitung der Speisen machen, entscheiden wir uns für einen Spaziergang durch Tobis neuen Wohnort, der etwa 800 Einwohner zählt; die im Mühlenweg lebenden, lustig dreinblickenden Alpakas, deren Wolle zu Bettwaren verarbeitet wird, nicht mitgerechnet. Zurück im Ferienhaus servieren uns Christian und René schließlich Nudeln mit zwei verschiedenen Tomatensoßen, die allen Beteiligten sehr gut schmecken. Farblich passend, tischt Christian als Nachspeise in Alkohol getränkte Wassermelone auf.
Abendspaziergang
Spaghetti Creazione a la Christian und René
Nach einem guten Frühstück treten wir am Sonntag gegen 10 Uhr die Heimfahrt an und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen. Möglicherweise wird dieses noch im selben Jahr in Walsleben stattfinden, sind wir doch auf die Fortschritte der Ausbauarbeiten sehr gespannt.

> 10./13. Mai <