1.5. Lisboa → Alverca
do Ribatejo
Gegen
9 Uhr gehe ich in den Frühstücksraum. Joaquín sehe ich nicht, er ist
wahrscheinlich schon aufgebrochen. Ich erinnere mich, dass er sagte,
dass er morgens meist sehr früh startet. Es fehlen Messer, sodass
ich in den Küchenräumen nach dem Küchenpersonal Ausschau halte.
Während des Essens wundere ich mich, dass ich kaum andere
Herbergsgäste zu Gesicht bekomme, obwohl man mir mehrmals sagte,
dass die Herberge so gut wie voll belegt sei. Eine der Küchenfrauen
gießt Kaffee in die große Kanne nach, wobei ein nicht geringer Teil der
Flüssigkeit an der Kanne hinunterläuft, was offensichtlich nicht
bemerkt oder einfach ignoriert wird. Da es ansonsten nur wenige Personen zu beobachten gibt,
schweift mein Blick auf die Theke. Sauberkeit sieht anders aus, denke
ich mir, als ich Plastikmüll unter der Theke auf dem Boden liegen sehe.
Gegen 12 Uhr verlasse ich die Jugendherberge. Etwa 620 km bis
Santiago de Compostela liegen vor mir und
ich hoffe, dass mir mein Karten-Reiseführer (Camino Portugués Maps
von John Brierley) in den folgenden Wochen ein nützlicher Begleiter
sein wird. Für die Strecke habe ich 26 Tage eingeplant. Am Río Tejo laufe ich
entlang, unterquere die
Ponte Vasco da Gama, während sich eine Gruppe Sportler an einem Wasserspender erfrischt. Ich entdecke den ersten gelben Pfeil, neben dem sich auch ein blauer Pfeil befindet, welcher den Weg nach Fátima markiert. Nach einer kurzen Rast zum Eincremen und Mittagessen treffe
ich bei Sacarém auf Brenda aus Connecticut, USA. Da es hier unterhalb
der Bahngleise in verschiedene Richtungen weitergeht und die Abbildungen in unseren Reiseführern keinen Aufschluss darüber geben, wo genau es lang geht, erkundigen wir uns nach dem richtigen Weg. Mit der gebürtigen
Australierin, die Rentnerin ist, gehe ich nun weiter. Wir haben den
Großstadtraum nun hinter uns gelassen und sind in einer herrlichen
Landschaft unterwegs. Der Weg ist sehr schmal und führt entlang
eines kleinen Flusses, vorbei an begrünten Hügeln. Da Brenda ihren
Wasservorrat bereits aufgebraucht hat, reiche ich ihr meine
Wasserflasche. In einem kleinen Laden legen wir eine Pause ein und
Brenda spendiert mir – dankend für die vorherige Geste – Wasser,
Mangosaft und eine Banane. Einheimische Jugendliche bitten mich darum,
ein Foto von meiner finnischen Holztasse machen zu dürfen. Da Brenda
durch die hohen Temperaturen zu erschöpft ist, um weiterzulaufen, lässt sie sich ein Taxi rufen und in die nächstgelegene Pension
fahren. So setze ich den Weg allein fort und erreiche einen Holzsteg, der durch ein großes Feuchtgebiet
führt, in welchem eine rapsähnliche Blüte das Landschaftsbild
dominiert. Dieser kilometerlange Holzsteg wird ein paar Tage später Teil einer
Marathonstrecke sein und ich begegne vielen Läufern. Die Sonne
brennt. Ich kann es kaum erwarten Alverca do Ribatejo zu erreichen,
da der Rucksack mittlerweile immer schwerer zu werden scheint. Junge
Leute helfen mir bei der Suche nach der Straße, in der ich nach
einem Zimmer fragen möchte. Schließlich klingele ich bei Señora
Lourdes. Die kleine alte, freundliche Frau bittet mich in ihre
Wohnung und bietet mir ein Bett in einem Zweibettzimmer an. Im Obergeschoss übernachtet ein Franzose, erzählt sie mir, weitere
Gäste gäbe es heute nicht. Genial, ich darf also in ihrer Wohnung übernachten.
Die Einrichtung ist etwas abgenutzt, aber vollkommen in Ordnung. Ich
breite meine Sachen auf dem zweiten Bett aus, dusche und schaue mir
den Wetterbericht im Fernsehen an. Morgen steigen die Temperaturen
auf 27 Grad, auha! Ist das toll, denke ich mir. Ein Zimmer für mich
allein und ein bequemes Bett. Die vielen Bettdecken und -laken
erinnern mich an meinen Besuch bei der Familie von João.
Als ich im Bett liege, klopft Lourdes an der Tür, weil sie ein Problem
mit ihrer Fernbedienung hat. Ich gehe mit ihr ins Wohnzimmer und
setze die Batterien erneut ein. Ich habe den Eindruck, dass es für Lourdes ganz normal ist, mit einem Fremden im eigenen Wohnzimmer zu stehen. Um mich am nächsten Morgen von der
Sonne wecken zu lassen, lasse ich die Fenstervorhänge offen.
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Holzsteg vor Azambuja |
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Erstes Quartier auf dem Camino |
2.5. Alverca
do Ribatejo → Azambuja
Zwar
hatte ich am Vorabend zu Lourdes gesagt, dass ich gegen 6 Uhr
aufstehe und gegen 7 Uhr aufbreche, doch heute Morgen drehe ich mich
um 6 Uhr nochmal um. Plötzlich klopft es direkt neben mir am
Fenster. Lourdes und der Franzose stehen dort. Lourdes hatte
offensichtlich nicht genau verstanden, welche Nationalität ich habe
und dem Franzosen gesagt, dass auch ich Franzose sei, worauf er mich
nun kennenlernen wollte. Mit verschlafenem Blick grüße ich beide
durchs Fenster und gebe zu verstehen, dass ich kein Franzose bin. Ich
packe meine Sachen zusammen und lasse mich von Lourdes durch ihre
Wohnung führen. Durch die vielen Betten, die sie Pilgern zur
Verfügung stellt, bessert sie ihre Rente auf. Im Hof steht ein
Zitronenbaum. Lourdes schenkt mir eine Handvoll Früchte und als ich
mich gegen 8 Uhr verabschiede, staunt sie – wie am Vorabend –
über meine Körpergröße. Kaum aus dem Haus getreten, sehe ich
einen Pilger am Straßenrand stehen. Er übernachtete in der
Unterkunft auf der anderen Straßenseite. Wir beschließen im nahe
gelegenen McDonalds zu frühstücken und stellen fest, dass wir nicht
nur den Weg, sondern auch den Vornamen gemeinsam haben. Für Marco
aus den Niederlanden ist es der dritte Camino. Bei strahlendem
Sonnenschein brechen wir auf und treffen unterwegs auf einen
französischen Pilger. Wir machen eine kurze Rast und gönnen uns ein
Eis. Wir begegnen vielen Industrieanlagen, die heutige Etappe ist
landschaftlich wenig attraktiv. Im Schatten mache ich erneut Rast,
während Marco weitergeht. Ich treffe ihn in einem Restaurant wieder
und bestelle das Menu del día. Mir wird Bacalhau serviert. Die
Oliven reiche ich meinem Tischnachbarn. Da Marco bereits gegessen
hat, bricht er auf. Laut Pilgerführer steht mir eine lange
asphaltierte Straße bevor. Es gibt kaum Schatten. Hier macht es
keinen Spaß zu wandern. An einer Tankstelle lege ich eine Rast ein.
Als ich Azambuja erreiche, suche ich sofort die Apotheke auf und
kaufe mir Blasenpflaster. Zwar sind die ziemlich teuer, aber ohne
werde ich nicht in der Lage sein, am nächsten Tag weiterzugehen. Ich
frage nach der lokalen Feuerwehr, den Bombeiros, da ich dort
übernachten möchte. Nachdem ich drei Euro zahle, zeigt mir eine
freundliche Feuerwehrfrau den Duschraum sowie den großen Schlafsaal.
Fünf weitere Pilger sind bereits dort, haben Matten ausgebreitet
und ihre gewaschene Kleidung hängt auf Leinen entlang der Wände.
Ich genieße eine ausgiebige Dusche und wasche meine Kleidung. Ich
treffe Marco, Joaquín sowie den Franzosen, der in der vergangenen
Nacht in derselben Unterkunft wie ich übernachtet hatte. Sie wollen
mit anderen Pilgern irgendwo zu Abend essen, aber ich lehne dankend
ab, da ich ziemlich erschöpft bin und mit meinen Füßen kaum
auftreten kann. Zwar lege ich mich frühzeitig auf die Matratze, doch
gelingt es mir nicht einzuschlafen, bevor die Schnarcher den Saal
erobern. Trotz Oropax bekomme ich in dieser Nacht so gut wie keinen
Schlaf.
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Zwei Marcos im Spiegel |
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Nachtlager bei den Bombeiros |
3.5. Azambuja → Santarém
Ich
breche allein auf und schlage unabsichtlich einen falschen Weg ein.
Schließlich auf dem richtigen Weg, geht es an Feldern entlang, auf
denen hauptsächlich Tomaten und Wein angebaut werden. In einem
kleinen Ort treffe ich auf eine Gruppe Irländerinnen, die kurz zuvor
im Río Tejo gebadet hatten. Während meiner Brotzeit kommt Marco des
Weges und erzählt mir ebenfalls von seinem Bad im Fluss. Ich bin an
dieser Badestelle vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken. Es folgt ein
Feldweg, in dessen Schatten ich mehrmals rasten muss, denn die Sonne
scheint auch heute wieder erbarmungslos. Ich brauche den letzten
Schluck Wasser auf und es gibt keine Möglichkeit die Flaschen
aufzufüllen. Plötzlich hält ein Auto. Eine freundliche Frau stellt
sich als Teresa vor, fragt nach meinem Befinden und schenkt mir eine
Flasche Wasser, wodurch sie zu meiner Retterin wird. Sie ist die
Inhaberin des Santarém-Hostels und fragt mich, ob ich schon ein Bett
in Santarém reserviert habe. Ich verneine, worauf sie mir das Harry
Potter-Zimmer anbietet. Ich bin total happy und sage zu. Sogleich
ruft sie ihren Ehemann an und gibt die Neuigkeit für das reservierte
Einzelzimmer weiter. Was für ein Glück - ein Einzelzimmer. Teresa
drückt mir eine Karte zur Orientierung in die Hand und fragt mich,
ob sie mich mitnehmen soll. Zwar bin ich tatsächlich ziemlich
erschöpft, sage aber, dass es mir gut geht, sodass sie allein
weiterfährt. Sie wurde nämlich von den Irländerinnen angerufen und
darum gebeten, einige von ihnen einzusammeln, da sie nicht
weiterlaufen können. Eine von ihnen sei „in trouble“. Als ich
später unter einem Baum Rast mache, kommen Joaquín und eine der
Irländerinnen vorbei. Auch ihnen sieht man die Erschöpfung an.
Joaquín hatte sich angeblich im Tagesverlauf verlaufen. Sie ziehen
weiter und auch ich richte mich wenig später erneut auf. Santarém
liegt auf einem Hügel, sodass es nun bergauf geht. Ich bin
mittlerweile dermaßen erschöpft und durstig, dass ich bereue, nicht
bei Teresa mitgefahren zu sein. Ich werde sehr wütend, als ein
kleiner Junge davon läuft, als ich ihn frage, ob bzw. wo es in der
Nähe einen Laden gibt. Später frage ich einen Handwerker nach einem
Laden und trinke schließlich aus seinem Wasserhahn in seiner
Autowerkstatt. Endlich erreiche ich das Zentrum. Noch nie habe ich
mich so sehr über einen Laden gefreut. Im Regal greife ich zum
schwarzen Zuckerwasser und begebe mich auf wackligen Beinen zur
Kasse. Vor mir steht eine ältere Frau, die ihren Einkauf gemütlich
auf das Band legt. Auch das noch. Mir fehlen die Kräfte und mir wird
fast schwarz vor Augen. Am Geländer muss ich mich festhalten, da ich
fast zusammensacke. Nachdem ich bezahlt habe, setze ich mich draußen
auf den Gehweg und genieße die Energie des Zuckergetränks. Vor dem
Eingang des Hostels treffe ich erneut Teresa. Sie stellt mich ihrem
Mann vor und zeigt mir die Räumlichkeiten. Am Küchentisch sitzt
Brenda. Es ist schön sie wiederzusehen. Das Harry Potter-Zimmer ist
das kleinste Zimmer im Haus und das Bett reicht von einer Wand zur
anderen. Ich bin super froh, dusche und ruhe mich eine Stunde im Bett
aus. In einem Einkaufszentrum kaufe ich ein wenig Proviant ein und
gönne mir ein Fast-Food-Meal. Auf der Straße staune ich über das
in das Pflaster eingearbeitete flackernde Licht auf dem
Zebrastreifen. Zurück im Hostel empfiehlt mir Teresa meine Blasen
mit Aloe-Vera zu behandeln und reicht mir einen saftigen
Pflanzenteil. Die Gruppe Irländerinnen sitzt ebenfalls auf der
Terrasse. Teresa erzählt von Fátima. Der bedeutendste Wallfahrtsort
Portugals sei ziemlich kommerziell geworden. In den dortigen
Herbergen werden unverschämt hohe Preise verlangt. Ich entscheide
mich gegen einen Abstecher dorthin. Auch in dieser Nacht bekomme ich
wenig Schlaf.
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Tomatenanbau für Ketchup-Produktion |
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Vor den Toren Santaréms |
4.5.
Santarém → Golegã
Bereits
um 4 Uhr höre ich Pilger, die im Raum nebenan frühstücken. Zum
Glück halten sich die Ultra-Frühaufsteher nicht lange im
Frühstücksraum auf, sodass ich nochmal kurz wegnicken kann. Nachdem
ich meine sieben Sachen gepackt habe, setze ich mich zu Marie an den
Frühstückstisch. Sie kommt aus Irland und berichtet mir begeisternd
von diversen Sehenswürdigkeiten auf der grünen Insel. Gestärkt
breche ich auf und entscheide mich trotz meiner geschundenen Füße
gegen eine Zugfahrt nach Vale de Figueira, durch die ich etwa 11 km
Fußweg sparen könnte und schließlich nur noch 20 km bis Golegã
als nächstem Etappenziel zu bewältigen
wären. Die Entscheidung werde ich bereuen. Noch in Santarém
wechsele ich den Schuh und finde zwar aus der Stadt, verlaufe mich
aber total. Als ich überzeugt bin, falsch gelaufen zu sein, frage
ich einen Traktorfahrer, der mir den richtigen Weg weist. Offenbar
bin ich bisher dem (ebenfalls gelb markierten) Weg nach Santiago gefolgt, der über Fátima
führt. So ein Mist, ich bin hier total falsch. Zur Sicherheit frage
ich nochmal nach, indem ich ein Auto anhalte. Ein freundlicher
älterer Mann steigt aus und erklärt mir, wo ich bin. Anhand einer
Skizze zeichnet er mir den Weg nach Valle de Figueira auf. Nun geht es
die Straße entlang. In einem Dorf läuft ein Hund lautstark bellend
auf mich zu. Er läuft neben mir etwa eine Minute von einem Vorgarten
zum nächsten und ich ignoriere ihn. Mich ärgert, dass niemand im Dorf zu
sehen ist. Der Hund scheint niemandem zu gehören. Plötzlich wird es
ruhig. Als ich mich umdrehe, greift er an, beißt mich in den linken
Unterschenkel und verschwindet. Im Schock begutachte ich die
blutende Wunde. In Vale de Figueira angekommen, suche ich den Bahnhof
auf. Der falsche Weg und der Hundebiss haben mir für heute gereicht. Von hier soll es mit
dem Zug weitergehen. Ich wundere mich wenig, dass ich in dieser
verlassenen Gegend keinen Fahrplan auf dem Bahnhofsgelände entdecken
kann und frage schließlich einen Schrankenwärter. Zu meiner
Überraschung muss er erst einmal im Plan nachsehen. Nach einer guten
Stunde steige ich in den pünktlich erscheinenden Zug, der nach einer
etwa fünfzehnminütigen Fahrt den 3 km außerhalb des Stadtzentrums
von Golegã befindlichen
Bahnhof erreicht. Ein Mann spricht mich an und weist auf einen Bus
hin, welcher ins Zentrum der 'Pferdestadt' fährt (Golegã ist ein bedeutender Ort der Pferdezucht der portugiesischen Pferderasse Lusitano). Ich mag nicht auf den Bus warten und
begebe mich zu Fuß auf den Weg. Auf einem Schild lese ich 'Piscinas
públicas' und
ziehe in Erwägung das öffentliche Schwimmbad später aufzusuchen.
Auf dem Weg zu den Bombeiros, der lokalen Feuerwehr, sehe ich vor
einer Kirche Marco sitzen und wir winken einander zu. Eine
dunkelhäutige Feuerwehrfrau erklärt mir, dass im nahegelegenen See
aufgrund einer derzeitigen Algenblüte nicht gebadet werden kann. Ich
stelle fest, dass ich heute der erste Übernachtungsgast bin, dusche
und gehe zur Casa de Misericórdia, um meine Wunde am Bein verarzten zu
lassen. Die Casas de Misericórdia sind als jahrhundertealte
katholische Einrichtung der Gesundheitsfürsorge über das ganze Land
verstreut und auch in anderen Ländern aktiv. Gegenwärtig werden die
Häuser häufig als Altenpflegeheime genutzt, was auch auf Golegã
zutrifft. Nach einem kurzen Wortwechsel mit
den hiesigen Senioren werde ich schließlich in ein Zimmer gebeten,
in welchem eine junge Frau meine Wunde desinfiziert. Da sie keine
Ärztin ist und auch keine Ärztin mehr im Hause ist, empfiehlt sie
mir ins lokale Gesundheitszentrum, dem Centro de Saúde, zu gehen, um
die Wunde genauer inspizieren zu lassen. Einige Straßen weiter kann
die Empfangsdame mit meinem Auslands-Krankenversichertenschein nichts
anfangen. Schließlich habe ich Glück und eine sehr freundliche
Krankenschwester erscheint. Sie bittet mich in ein Zimmer,
desinfiziert die nicht sehr tiefe Wunde erneut und legt einen Verband
an. Freundlich bedanke ich mich für die spontane kostenlose
Behandlung und nicke, als mir die Krankenschwester nahelegt am
nächsten Tag nochmals vorbeizuschauen, falls ich Schmerzen haben
sollte. Zurück im Nachtquartier wasche ich meine Wäsche im
Waschbecken. Vor der Kirche setze ich mich zu Marco und Joaquín an
den Tisch, denen ich bei einem Glas frisch gepressten Orangensaft von
meiner Begegnung mit dem beißenden Vierbeiner berichte. Von Joaquín
erfahre ich, dass auch er am Morgen fälschlicherweise den Weg nach
Fátima einschlug, da er von mehreren Personen, die es nicht besser
wussten, auf eben diesen Weg geschickt wurde. Marco erzählt mir von
seiner neuesten Bekanntschaft, einer gebürtigen
Kolumbianerin, die seit einigen Jahren in Kanada lebt. Hinsichtlich
ihres Alters meint Joaquín, sie sei noch ein 'bebé' und ich nun nicht
mehr der Jüngste. Tatsächlich ist sie zwei Jahre jünger als ich,
was ich später beim Abendessen durch Diana selbst erfahre. Zu viert
am Tisch gibt es heute Gemüsesuppe und Bacalhau. Da ich sehr müde
bin, verlasse ich unmittelbar nach dem Essen das Restaurant und gehe
zeitig schlafen. Das Einschlafen will mir nicht gelingen, weil
draußen auf dem Feuerwehrhof ein Hund sehr laut bellt. Ich gehe
hinunter und treffe auf eine Gruppe Feuerwehrmänner, die mir sagen,
dass sich das Hundegebell in der Nacht legen wird. Tatsächlich ist
es wenig später ruhig.
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Perros abandonados |
5.5. Golegã → Tomar
Als
ich aufwache, sehe ich aus dem geöffneten Fenster, wie es draußen
in Strömen regnet. Es ist der erste Regen seit meiner Ankunft in
Portugal. Wir haben hier lediglich zu dritt übernachtet. Neben mir
packt Erika aus Deutschland ihre Sachen und auch Marco bereitet sich
auf einen Regentag vor. Beide brechen nacheinander auf. Meine Wäsche
ist zum Glück über Nacht getrocknet. Ich schlüpfe in meine
Regenhose und -jacke und entdecke unter dem Nachbarbett Erikas
Sandalen, die ich ihr einige Stunden später wiedergebe, als ich sie
einhole. Im Eukalyptuswald ist der orangefarbene Boden aufgeweicht.
Ich verlaufe mich und stoße schließlich auf eine Schnellstraße,
der ich mehrere Kilometer folge. Als ich kurz raste, frage ich zwei
Bauarbeiter nach dem Weg und ob sie mich mitnehmen könnten, denn ich
bin ziemlich erschöpft. Leider sind die beiden noch nicht fertig mit
ihrer Arbeit, sodass ich im Regen weiterlaufe. In einem kleinen
Restaurant lege ich erneut Rast ein und stärke mich mit einem
Sandwich. In dem Ort Glorieta erreiche ich endlich einen Bahnhof. Die
fehlenden 7 km möchte ich mir ersparen. Vor Ort haben die
Bauarbeiter keine Ahnung, wann der Zug fährt. Zum Glück kommt
dieser nach zehn Minuten. Einen Schaffner scheint es im Zug nicht zu
geben. Ich frage zwei Frauen nach dem direktesten Weg zu den
Bombeiros in Tomar. Sie bieten mir eine Mitfahrgelegenheit an, was
mich sehr freut. Der auch als Schlafsaal fungierende Versammlungsraum
ist leer, als ich ankomme, und es wird auch bei dem einen
Übernachtungsgast bleiben. Ich entdecke lediglich eine Matratze im
Raum. Da sie ziemlich verdreckt ist, breite ich meine Isomatte aus.
Nach einer heißen Dusche, während der ich den klebrigen Vorhang
andauernd zur Seite schieben musste, kaufe ich kurz ein und begebe
mich auf den Weg zum Convento de Cristo. Da die im 12. Jahrhundert
von Tempelrittern gegründete Wehr-Klosteranlage geschlossen ist,
genieße ich einen Blick auf die Stadt, deren Zentrum sehr gepflegt
ist. Ich entdecke Tomar als bislang für mich schönste Stadt. In
einem chinesischen Restaurant bestelle ich mir gebratene Nudeln und
sehe im Fernsehen, dass morgen wieder Regen zu erwarten ist.
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Blick auf Tomar |
6.5.
Tomar → Alvaiázere
Durch
Geräusche von draußen wache ich auf. Nebenan werden Marktstände
aufgebaut. Tatsächlich bin ich der einzige Pilger, der hier
übernachtet hat. Gerne hätte ich mich mit anderen ausgetauscht,
aber bestimmt werde ich den ein oder anderen heute im Laufe des Tages
treffen. Neugierig suche ich bei wolkenverhangenem Himmel die gelben Pfeile. Vor mir singt eine
Frau auf dem Bürgersteig leise vor sich hin. Ich empfinde die
Situation als sehr angenehm und beginne ebenfalls zu singen, worauf
sich die Frau zu mir umdreht und lacht. Ich bitte sie weiterzusingen,
was sie zu meiner Freude tut. Es klingt religiös. Einige hundert
Meter nach unserer Verabschiedung spricht mich ein junger Mann an.
Ich müsste schnell gehen, sagt er, denn AC/DC spielt am nächsten
Tag in Porto. Er ist sehr offen, begleitet mich ein Stück und weist
mir den Weg. Im Regen hält an einem Kreisverkehr eine junge Frau und
fragt "Do you need a
ride?". Stolz lehne ich
dankend ab und freue mich über die freundliche Geste. In
den Ortschaften passiere ich viele Häuser, die mit den quadratischen, bunt gemalten Keramikfliesen, den azulejos, geschmückt
sind. Welch' Überraschung - im Eukalyptuswald verirre ich mich. Als ich eine
Bundesstraße erreiche, folge ich ihr und raste in einem kleinen
Restaurant, in welchem ich mir ein Käsesandwich bestelle. Nun geht
es bergauf weiter. Je
mehr ich mich meinem Etappenziel nähere, desto größer werden die
Olivenplantagen beidseits des Weges. In Alvaiázere angekommen, folge ich der
Beschilderung zu den Bombeiros. Hier darf ich sogar kostenlos
übernachten. Ich gönne mir eine heiße Dusche und mache mich auf
den Weg ins Zentrum, in der Hoffnung, dort den anderen Pilgern zu
begegnen. In dem einzigen Restaurant im Ort treffe ich Diana und
Marco und auch Joaquín stößt dazu. Wir werden freundlich bedient
und berichten einander von den Ereignissen der vergangenen Tage.
Während die anderen unweit vom Restaurant in der Albergaria
übernachten, nächtige ich ein weiteres Mal allein bei der
Feuerwehr.
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Schlafsaal bei den Bombeiros |
7.5.
Alvaiázere → Rabacal
Ich
mache mich zeitig auf den Weg, denn eine Etappe von 32,5 km liegt vor
mir.
Besonders
reizvoll sind die sehr schmalen Feldwege, die entweder von dichter
Strauchvegetation oder Lesesteinwällen gesäumt werden. In Ansião
setze ich mich in einem Restaurant an einen Tisch und werde von der
freundlichen Bedienung informiert, dass ich mich in etwa zehn Minuten
an der Selbstbedienungstheke bedienen kann. Joaquín, Diana und Marco
kehren ebenfalls ein, haben aber noch keinen großen Hunger und
brechen nach einem kleinen Snack und einem Gespräch mit einem
sympathischen Ehepaar aus Bremen wieder auf. Das Ehepaar verbringt
gerade ein paar Wochen Urlaub in der Nähe und hat großes Interesse
an dem, was ich die vergangenen Tage erlebt habe. Als ich die Blasen
an meinen Füßen erwähne, greift die Frau in ihre Tasche und
schenkt mir eine Packung Blasenpflaster. Zudem bietet sie mir an,
mein schweres Paar Wanderschuhe, welches ich in den letzten Tagen
nicht getragen hatte, nach Deutschland zu schicken. Da ich sie
eventuell noch brauche, lehne ich dankend ab. Ich merke später, dass
dies die richtige Entscheidung war, als die Socken in meinen
Techamphibians nass sind und ein Schuhwechsel erfolgen muss. Die
Feldwege stehen unter Wasser und ein Gehen trockenen Fußes am
Wegesrand ist nicht immer möglich. An einer Tankstelle treffe ich
Joaquín und wir gehen nun gemeinsam weiter. In einem Café begegnen
wir Diana und Marco. Nacheinander brechen wir auf, sodass ich
schließlich allein im Regen das heutige Etappenziel Rabacal
erreiche. In der Unterkunft, der Casa de Turismo do Rabacal, erzählt
mir ein Australier, dass ich auf Olga, die Dame des Hauses, warten
müsse. Vor der Rezeption in halb-nasser Kleidung ungeduldig wartend,
lerne ich einen portugiesischen und einen polnischen Pilger kennen.
Schließlich treten Joaquín und später Diana und Marco ein. Statt
den direkten Weg über die Bundesstraße zu nehmen, hatten Diana und
Marco den im Pilgerführer markierten und längeren Weg
eingeschlagen. Noch bevor Olga erscheint, düst Marco mit einem Taxi
davon, da ihm der Tag ziemlich zugesetzt hat und er sich am nächsten
Etappenziel erholen will. Olga stellt sich schließlich als Mann
heraus und quartiert Joaquín wegen seines Schnarchens im hinteren
Bereich der Rezeption ein, während Diana und ich in der ersten Etage
Platz finden. Heute freue ich mich ganz besonders auf eine heiße
Dusche, allerdings werde ich unter der Brause eine gefühlte Ewigkeit
warten, bis sich dieser Traum erfüllt. Im gegenüber der Unterkunft
gelegenen Restaurant tischen uns Nuno und seine Frau Omelettes und
Suppen auf. Am Lagerfeuer sitzen wir gemütlich zusammen und lauschen
den Geschichten eines einheimischen Mannes. Wir verabreden uns mit
Nuno zum Frühstück um 8 Uhr.
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Gemütlichkeit bei Nuno und seiner Frau |
8.5.
Rabacal → Coimbra
Ebenfalls
am Frühstückstisch sitzen Paco und Isabel aus Madrid sowie ein
älteres Geschwisterpaar aus Australien. Zwar ist erneut Regen
angesagt, doch starten wir freudestrahlend gegen 9 Uhr bei trockenem
Wetter. Mit gutem Tempo wandern wir heute auf
dem linken Standstreifen der Landstraße, statt den gelben
Pfeilen ins Hinterland zu folgen. In Gegenrichtung sind auf der
anderen Straßenseite viele Pilger nach Fátima unterwegs. Vermutlich treibt
uns der Gedanke an, dass es im Nu wieder nass werden könnte. Das
Café, welches wir anvisiert hatten, hat leider geschlossen. Ein
anderes gibt es leider weit und breit nicht. Als wir das Stadtgebiet
von Coimbra erreichen, beginnt es in Strömen zu gießen. An einer
Bushaltestelle suche ich Schutz und überlege einen Bus zu nehmen.
Joaquín meint, dass wir eh durchnässt sind und wer weiß, wann der
Bus schließlich kommt. Also weiter Richtung Innenstadt. Schnellen
Fußes weichen wir den Wassermassen aus, die von den höher gelegenen
Seitenstraßen auf die Fahrbahn strömen. Von einer Pfütze springen
wir in die nächste. Wenn das Ziel nahe scheint, erträgt man so
einiges. Es gießt wie aus Eimern. Unsicher, ob wir hier tatsächlich
richtig sind, betreten wir das Gelände des Klosters Santa
Clara-a-Nova. Zwei französische Pilger-Pärchen gesellen sich zu
uns. Sie sehen nicht so aus, als seien sie die vergangene halbe
Stunde im Regen gelaufen. Vermutlich haben sie sich hierher fahren
lassen. Da sie kein Englisch sprechen, wird sich meine Frage wohl
nicht so einfach beantworten lassen, aber mir ist momentan auch nicht
nach Geplauder. Völlig durchnässt treten wir ins Innere des
Klosters und erfahren, dass es sich hier um die Albergue de
Peregrinos Rainha Santa Isabel handelt. Wir haben großes Glück und
bekommen die Zusage für die letzten freien Betten. Die junge Dame,
die uns empfängt, ist wenig freundlich. Sie ist die Ruhe in Person
und kann uns nicht aufnehmen, ehe wir nicht ihren Fragebogen
ausgefüllt haben. Eilig gebe ich Auskunft über Nationalität,
Beruf, Motivation sowie Startpunkt der Pilgerreise und antworte auf
die Frage nach meiner Telefonnummer, dass ich kein Telefon besitze,
woraufhin mich Diana lächelnd ansieht. In den kalten Gemäuern warte
ich ungeduldig, bis auch die anderen Pilger mit Fragen durchlöchert
wurden, bevor es endlich die Treppen hinauf geht. Nachdem mir ein
oberes Etagenbett zugeteilt wird, kämpfe ich mit der Duscharmatur,
da mir weder Druck noch heißes Wasser zur Verfügung stehen. Gerade
heute könnte ich mir stundenlang heißes Wasser auf die Schultern
rieseln lassen. Ich realisiere, dass ich in einem Kirchenhaus bin und
acht Euro für das Bett zahle, was will ich da großartig erwarten.
Nach einer Katzenwäsche erblicke ich den Wäscheständer, der voll
behangen ist und meine nassen Kleidungsstücke nicht mehr aufnehmen
kann. Da es noch immer regnet, ist auch die Wäscheleine im Freien
keine Option. Die Idee von Diana und Joaquín, einen Waschsalon in
der über 100.000 Einwohner zählenden Universitätsstadt
aufzusuchen, finde ich super. Wir erfahren, dass wir spätestens 22
Uhr zurück sein müssen, da das Kloster dann schließt und wir nicht
mehr hinein gelangen. Mit unseren Kleidern im Gepäck laufen wir die
gepflasterte Straße hinunter. Meine Füße schmerzen. Ein Taxi fährt
uns ins Zentrum und wir schmeißen unsere gesamte Wäsche in die
größte Trommel des Waschsalons. Die Wartezeit verbringen wir ein
paar Straßen weiter in einem Restaurant, in welchem wir von einer
sehr freundlichen Bedienung bewirtet werden. Da ich es kaum noch vor
Schmerzen aushalte, gibt mir Joaquín eine Schmerztablette, die
schnell die erwünschte Wirkung zeigt. Nachdem ich humpelnd einen
kleinen Einkauf erledige, holen wir unsere Wäsche ab und bitten im
Restaurant, uns ein Taxi zu rufen. Aufgrund eines großen
Studentenfestes an diesem Wochenende scheint das Bestellen eines
Taxis an unseren Standort unmöglich, sodass wir ein paar Straßen
weiter gehen müssen. Später als geplant, dennoch pünktlich,
erreichen wir 21:30 Uhr das Kloster, dessen Tür verschlossen ist.
Klopfen, rufen, lauter rufen, nichts passiert. Mehrmals wählen Diana
und Joaquín die an der Tür notierten Telefonnummern, doch auch das
bleibt ergebnislos. Ich klettere über den Klosterzaun, um an einer
anderen Tür zu klopfen. Auch hier kein Glück. Als ich mich erneut
auf dem Zaun befinde, nähert sich eine asiatisch aussehende Frau.
Sie schließt uns schließlich auf und belehrt mich über mein
Fehlverhalten am Klosterzaun. Leise und froh, dass wir nicht draußen
schlafen müssen, suchen wir die Schlafräume auf. Nachdem Diana
meine Blase desinfiziert, werfen wir uns nach einem anstrengenden Tag
in die Betten.
|
Pilger nach Fátima machen Rast |
|
Nachtquartier in Coimbra |
9.5.
Coimbra → Mealhada
Während
ich meine Schuhe auf Verwendbarkeit überprüfe, schaue ich Diana und
Joaquín durch das Küchenfenster zu, wie sie Dianas Schuhe im
Backofen trocknen. Offensichtlich hatte der Föhn nicht genug Power.
Da Diana und Joaquín im nahegelegenen Restaurant frühstücken
wollen, starte ich allein und schlendere durch das Zentrum der
drittgrößten Stadt Portugals. Die kleine Iglesia de Santiago zählt
zu den bedeutendsten städtischen Bauwerken aus romanischer Zeit. In
ihrem Inneren verweile ich ein wenig und sehe den Einheimischen dabei
zu, wie sie kniend ihr Gebet sprechen. Es dauert nicht lange und ich
befinde mich außerhalb Coimbras. Immer mehr portugiesische Pilger,
die auf dem Weg nach Fátima sind, kommen mir entgegen. Am Rande
eines kleinen Ortes mache ich Rast und esse genüsslich die am
Vorabend gekauften Schokoladenkekse der Marke 'Filipinos'. Eine
weitere Pause lege ich in Trouxemil ein und besichtige den örtlichen
Friedhof. An einer Mauer im Ort hängt auf einem A4-Blatt die
Bekanntmachung über die kürzlich stattgefundene Beisetzung eines
Verstorbenen mitsamt seines Fotos. Von
Coimbra bis Mealhada sind es laut Reiseführer rund 22 km. Ich
steuere die örtliche Feuerwehr an. Zwei Frauen an der Rezeption
schicken mich weiter, da bereits alle Betten von Fátima-Pilgern
belegt sind. Ich befürchte, dass es auch anderenorts schwierig sein
wird, ein freies Bett zu bekommen. Wie auch an den Tagen zuvor,
erreiche ich im Regen mein Nachtquartier. Als ich die Albergue de
Peregrinos da Mealhada betrete, treffe ich auf Marco. Wir freuen uns
sehr über das Wiedersehen und ich noch viel mehr, als man mir trotz
angeblich voller Auslastung ein Bett anbieten kann. Die Freude wird
noch größer, als Diana plötzlich dazustößt. Man geleitet Diana
und mich in ein noch freies Zimmer mit einem Etagenbett und vier
Einzelbetten. Vermutlich wurden die vorher angekommenen Pilger in den
anderen Zimmern untergebracht, bis diese voll belegt waren und der
Herbergsbetreiber wollte eine weitere Zimmerreinigung umgehen. Marco
entscheidet sich für einen Zimmerwechsel und gesellt sich zu uns.
Das Zimmer ist hell und sauber. Ein wenig Sorgen machen wir uns um
Joaquín und sind froh, als er plötzlich zur Türe hereinkommt. Beim
gemeinsamen Abendbrot tauschen wir uns über den Tag aus. Zwei
portugiesische Pilger machen die Zimmerbelegung komplett. Sie sind
auf dem Weg nach Fátima. Als wir in unseren Betten liegen, kommen
wir ins Gespräch. Einer von ihnen gibt mir seine Telefonnummer und
lädt mich zu sich nach Porto ein. Er hat ein kleines Haus, sagt er,
aber Platz zum Schlafen findet sich auf jeden Fall. Da er aber erst
in vier Tagen aus Fátima zurück sein wird und ich voraussichtlich
in drei Tagen Porto erreiche, wird ein Treffen unwahrscheinlich.
10.5.
Mealhada → Albergaria-a-Velha
Da
es regnet, beschließen Joaquín, Diana und ich auf der Straße zu
gehen, statt den gelben Pfeilen zu folgen. Als sie in einem
Restaurant einkehren, um zu frühstücken, gehe ich weiter und treffe
auf einen Italiener sowie erneut auf die zwei französischen Paare.
Ich bin hungrig und bestelle mir in einem kleinen Wirtshaus bei einem
freundlichen Muttchen einen Teller Suppe. Nun treten auch Diana und
Minuten später die Franzosen ein. Joaquín scheint hingegen nicht
hungrig und läuft weiter. Ich rufe João an, da ich plane, bereits
heute in Albergaria-a-Velha anzukommen und nicht in Águeda zu
bleiben. Freundlicherweise leiht mir die Bedienung ihr Handy und
möchte auf Nachfrage kein Geld für das Telefonat. Mit einem
ordentlichen Trinkgeld zeige ich mich erkenntlich. João stimmt einem
Treffen spontan zu und ich verabrede mich mit ihm für den heutigen
Abend. Allein gehe ich weiter, bis ich schließlich auf Isabel und
Paco aus Madrid begegne. Isabel ist sehr gesprächig und erzählt,
dass sie ohne Rucksack unterwegs sind, weil sie seit dem vorherigen
Camino Knie-Probleme hat. So lassen sie ihr Gepäck nun von einer
Station zur nächsten fahren. Isabel empfiehlt den Camino francés im
März oder September zu laufen, wenn der Wind über die Weizenfelder
weht. Die Unterhaltung ist sehr angenehm. In einer kleinen Ortschaft
hält plötzlich ein Wagen am Straßenrand und ein Mann winkt mich zu
sich ans geöffnete Beifahrerfenster. Freundlich reicht er mir eine
Tüte mit zwei Äpfeln, einer Wasserflasche sowie einer Visitenkarte
eines lokal ansässigen Arztes, der er vermutlich selbst ist. Ich
freue mich sehr darüber und sehe, wie er ein paar Meter hinter mir
erneut hält, um auch dem französischen Pärchen eine Freude zu
bereiten. Erstaunt
bleibe ich vor einem Haus stehen, das vollständig mit blauen
azulejos versehen ist. Der Eigentümer ist sehr konsequent, denn beim
Zaunsockel sieht es nicht anders aus. Die Albergue in Albergaria-a-Velha ist schnell gefunden und
der Empfang ist freundlich. Während mein Pilgerpass einen weiteren
Stempel erhält, tritt Diana durch die Tür und gemeinsam belegen wir
ein Zimmer in der oberen Etage. Nach einer ausgiebigen Dusche wasche
ich im Keller meine Wäsche. João wartet bereits an der Rezeption
und wir freuen uns über das Wiedersehen nach über zwölf Jahren. João
schlägt vor nach Aveiro zu fahren und auch Diana fährt mit. Nachdem
wir ein paar Schritte auf dem Fußweg in Richtung Auto gegangen sind,
treffen wir zufällig auf Marco und machen uns schließlich zu viert
auf den Weg nach Aveiro. Die Stadt hatte mir schon 2003 gefallen, als
ich João und dessen Familie im nahe gelegenen Oliveira de Azemeis
besuchte. Aufgrund seiner vielen Kanäle, auf denen die
farbenprächtigen Moliceiro-Boote verkehren, wird Aveiro als Venedig
Portugals bezeichnet. In einem schicken Restaurante bestellen wir
Lachs und werden von einem unterhaltsamen und weltgewandten Kellner
bewirtet. Besonders lustig wird es, als ich um ein Radler bitte und
nach der portugiesischen Bezeichnung für ein Getränk aus Bier und
Limonade frage. Statt 'Panaché' sagt er 'Pinochet' und kann sich
auch Minuten nach dem Gespräch nicht erklären, wie er auf den Namen
des chilenischen Diktators kommt. Etwas besorgt sind wir über
Joaquín, den auch Marco in seiner Herberge nicht angetroffen hatte.
Für mich wird es an dem heutigen Tage das letzte Mal gewesen sein,
dass ich Joaquín sehe, während die anderen ihm hin und wieder
nochmal begegnen werden. Auf der Rückfahrt erzählt João von einem
eingeschleppten Insekt, das vor allem die jungen Palmenblätter
frisst und für ein großflächiges Absterben der lokalen Palmenvegetation
verantwortlich ist.
|
Bereitgestellte Versorgung für die Pilger? |
11.5.
Albergaria-a-Velha → São João de Madeira
Ich
starte allein. Die ersten Kilometer führen durch einen
Eukalyptuswald, dessen Wege teilweise so stark unter Wasser stehen,
dass ich nur quer Feld ein gehen kann. Nicht lange allein bleibe ich
in einer kleinen Kirche in Albergaria-a-Nova, als Diana und Marco
durch die Tür treten. Gemeinsam setzen wir den Weg fort und gönnen
uns nach einem kräftezehrenden Aufstieg in das Zentrum von Oliveira
de Azeméis ein Omelette. Die verbleibenden neun Kilometer bin ich
wieder allein unterwegs und komme schneller als erwartet in São João
de Madeira an. Bei den Bombeiros erfahre ich, dass hier umgebaut wird
und eine Frau schlägt mir vor, zu warten, bis mich jemand in eine
Unterkunft etwas außerhalb der Stadt fahren kann. Da ich weiß, dass
es auch in São João de Madeira eine Casa de Misericordia gibt,
lehne ich dankend ab und begebe mich erneut auf die Quartierssuche.
Ich freue mich, als ich Diana und Marco treffe und gemeinsam fragen
wir uns zum örtlichen Altenpflegeheim durch. Im Keller wird uns von
der Mitarbeiterin Cecilia ein kleines Zimmer gezeigt, indem bereits
sechs Pilger untergebracht sind. Wenn auch wir hier übernachten
sollten, würde es ziemlich eng werden. Zu unserer großen Freude
dürfen wir uns jedoch im benachbarten großen Freizeitraum
einrichten. Auf dem Weg zum Duschraum (in
welchem ich im Minutentakt aus der Kabine treten muss, um den
Lichtschalter zu bedienen, weil es ständig stockfinster wird) bemerke ich die hauseigene
Wäscherei und frage hier später gemeinsam mit Diana, ob wir unsere
Wäsche hier waschen können, denn auch der heutige Tag war ziemlich
verregnet. Wir haben großes Glück und stehen zwei sehr freundlichen
Frauen gegenüber, die unsere Frage bejahen, sodass wir unsere
Kleider eilig herbei schaffen. Inmitten von Wäschebergen überlegen
die Frauen kurz und teilen uns mit, um wieviel Uhr wir unsere Wäsche
wieder abholen können. In der Zwischenzeit besorge ich mir etwas für
das Abendessen sowie eine Kleinigkeit für das Wäscherei-Personal.
Als wir die Wäsche abholen, ist diese bereits getrocknet und
zusammengefaltet. Mit einer großen Packung Mercí bedanken sich
Diana, Marco und ich für die spontane Unterstützung und umarmen die
Frauen. Über das Thema Blasenpflege komme ich mit dem Polen Woytek
ins Gespräch. Besonders beeindruckend fand er seinen Camino nach Rom
vor zwei Jahren. Entlang des Weges durch spektakuläre Landschaften
traf er nur wenige Pilger, unter ihnen zwei Kanadier, mit denen er
sich sehr gut verstand. Genau die beiden traf er vor einigen Tagen
auf dem portugiesischen Weg wieder, ohne sich in den vergangenen zwei
Jahren gesprochen zu haben - ein riesengroßer Zufall.
12.5.
São João de Madeira → Porto
Im
Nieselregen mache ich mich auf den Weg. Als es zu regnen aufhört und
ich mich einer Kleidungsschicht entledige, geht eine Pilgerin an mir
vorbei, die ich später zwar wieder einhole, aber mit der ich nicht
ins Gespräch komme. Vermutlich handelt es sich um die Tschechin, mit
der Joaquín über einen längeren Zeitraum gemeinsam gehen wird, was
ich später durch Diana erfahren werde. Da ich zwischen Lissabon und
Porto nur selten einem anderen Pilger begegne, merke ich mir deren
Gesichter gut und tausche mich am Abend entsprechend aus. Das Gelände
vor den Toren Portos ist ziemlich anstrengend, da viele Höhenmeter
genommen werden müssen und der Untergrund oftmals uneben, steinig
und nass ist. Auch das noch. Aufgrund einer Umleitung muss ein Umweg
ins Zentrum genommen werden. Während meine Pilgerbekanntschaften auf
der sicheren Seite sein wollten und bereits vor Reiseantritt oder am
gestrigen Tag ein Zimmer reserviert hatten, steuere ich ohne
bestimmtes Ziel auf das Zentrum zu. Eine Absage nach der anderen
verdeutlicht mir, dass ich sehr naiv war zu glauben, dass sich in der
zweitgrößen Stadt Portugals schnell ein bezahlbares freies Bett
finden lässt. Müde schleppe ich mich von einem möglichen Quartier
zum nächsten, bis ich nach stundenlanger Suche eher zufällig vor
einem Hostel nahe der Rua de Firmeza stehe. Ich kann mein Glück kaum
fassen, als mir eine deutsche Wooferin an der Rezeption zusätzlich
zum Domicilio (Mehrbettzimmer) für 11 Euro pro Nacht ein
Einzelzimmer für 15 Euro anbietet. Das Zimmer befindet sich im
Keller und es ist aufgrund der direkt darüberliegenden Treppe hin
und wieder laut, doch nach der anstrengenden Unterkunftssuche
inmitten der Großstadt genieße ich es allein zu sein.
13.5.
Porto
Nach
einem einfachen, aus Toast mit Marmelade und Tee bestehenden
Frühstück, checke ich seit Beginn meines Caminos vor zwölf Tagen
im Aufenthaltsraum das erste Mal meine Emails. Ich reserviere das
Zimmer für eine zweite Nacht und gehe ins Zentrum. Endlich mal ohne
Rucksack unterwegs zu sein, tut richtig gut. Auf
dem Weg zur Kathedrale Sé, in der ich meinen Pilgerpass um einen
Stempeleintrag (carimbo) erweitern möchte, mache ich im Bahnhof São
Bento Halt und bestaune die großen Kachelgemälde. Nachdem ich beim
Chinesen gebratene Nudeln gegessen habe, überlege ich auf einer
Brücke stehend, wie ich am besten zur Promenade des Flusses Douro
gelange, als man plötzlich meinen Namen ruft. Das etwa 230.000
Einwohner zählende Porto ist ein Dorf, denke ich, als ich Diana
erblicke, wie sie freudestrahlend auf mich zugeht. In einer
Touristen-Information erkundigen wir uns nach den verschiedenen Wegen
bzw. Beschilderungen nach Santiago. Wir schlendern an der von
Touristen verstopften Promenade entlang und treffen in einem
Souvenirladen auf Marco und seine Frau, mit der er sich in Porto
verabredet hatte. Porto, eindeutig ein Dorf. Mit niemandem habe ich
Handynummern ausgetauscht. Die sich wiederholenden Begegnungen sind
zufällig oder werden von einer Art besonderem Camino-Spirit
geschaffen. Jeder von uns beabsichtigt, morgen seinen Weg
fortzusetzen und statt der traditionellen Route die Küstenroute zu
nehmen und im Glauben an ein baldiges Wiedersehen stürzen wir uns
wieder getrennt voneinander ins Getümmel Portos. In einem Park
genieße ich ein wenig Ruhe. Die Stadt gefällt mir besser als
Lissabon, denn hier fällt die Orientierung leichter und das Klima
ist angenehmer. Auf dem Weg zum Hostel suche ich einen Friseur auf.
14.5.
Porto → Vila do Conde
Heute
geht es weiter. Der
rund 250 km lange 'kleine'
Camino Portugués von Porto
nach Santiago de Compostela ist angeblich um ein Vielfaches stärker
frequentiert, was auch nicht schwer ist, da sich meiner Meinung nach die in Lissabon
startenden Pilger an zwei Händen abzählen lassen.
Aus mehreren Gründen habe ich mich spontan für die Küstenvariante
entschieden. Zum Einen bin ich die vergangenen vierzehn Tage im
Landesinneren unterwegs gewesen und die Küste bietet Abwechslung.
Zum Anderen sind auf dem Küstenweg vermutlich weniger Pilger
unterwegs, was mir besser gefallen würde. Da
es am frühen Morgen nieselt, starte ich erst gegen 10 Uhr. Mit der
am Tag zuvor gekauften Metro-Fahrkarte fahre ich nach Matosinhos,
überquere eine Brücke und entdecke kurz vor Erreichen der
Strandpromenade die gelben Pfeile. Am Ufer des Atlantiks entdecke ich
eine Gruppe von Surfern. Nun geht es am Meer entlang, die Brandung
ist stark. Wie vermutet, begegne ich mehreren Pilgern. Ich bin etwas
schneller als sonst unterwegs, da ungewiss ist, ob noch Betten in den
nächsten Alberguen frei sind. Die vielen Touristen in Porto und die
nun größere Zahl an Pilgern geben mir zu denken. Ich entscheide
mich gegen die erste Albergue, da sie sich etwa 900 Meter abseits des
Weges befindet und ich im Fall, dass kein Bett mehr frei ist, den
knappen Kilometer wieder zurückgehen müsste. Außerdem traue ich
mir noch weitere Kilometer zu. In einem Restaurant esse ich Fleisch
mit Reis und Pommes. Die halbe Portion ist groß, sodass ich mich gut
gesättigt wieder auf den Weg mache. Es geht nach wie vor größtenteils auf Holzstegen entlang. Durch ein Vogelschutzgebiet wandernd, komme ich mit einem Paar aus Österreich ins Gespräch. Christian erzählt
mir, dass er am Morgen über eine kürzlich in Vila do Conde
geöffnete Albergue gelesen hat, er allerdings im Vorfeld in einem
Hotel ein Zimmer reserviert hatte. Ein wenig später entdecken wir
das entsprechende Hinweisschild und unsere Wege trennen sich wieder.
Kaum habe ich das Zentrum erreicht, werden die Finger meiner rechten
Hand sowie mein rechtes Hosenbein zur Zielscheibe eines fetten
Vogelschisses. Was für eine tolle Begrüßung. Ein polnisches Paar
ist ebenfalls auf der Suche nach der Albergue. Gemeinsam machen wir
deren Standort ausfindig und treten mit einer Handvoll weiterer
Pilger ein. Fátima empfängt uns sehr freundlich. Es ist eine der
herzlichsten Begegnungen bisher. Eine Pilgerin aus den USA hatte ein
paar Tage zuvor Geburtstag und so singen wir ihr an der Rezeption ein kurzes
Ständchen. Die Chefin des Hauses, ebenfalls mit dem Namen Fátima,
stößt hinzu und fordert alle auf, dem Geburtstagskind einen Kuss zu
geben. So geschieht es. So macht die Ankunft Spaß. Als ich erfahre,
dass neben mir eine Finnin steht, begrüße ich sie mit einem
'Tervetuloa', worauf Heli etwas geschockt reagiert. Mit einem auf
finnisch grüßenden Pilger hatte sie auf ihrem Camino sicher nicht
gerechnet. Während die Paare in die obere Etage geschickt werden,
stecken mich die beiden Fátimas in den mit ausnahmslos älteren
Frauen belegten Schlafsaal. Nachdem ich ein oberes Bett beziehe,
werfen die anderen Pilger und ich unsere Kleider in die
Waschmaschine. Jeder steuert ein paar Groschen zu. Fátima wird die
Wäsche später in den Trockner legen, ein toller Service. Von jedem
sammelt sie einen Euro ein, um Sekt und Gebäck zu kaufen, damit zu
späterer Stunde auf den Geburtstag der US-Amerikanerin angestoßen
werden kann. Nach einer ausgiebigen Dusche treffe ich auf der Straße
Woytek und später im Supermarkt Diana. Beide übernachten in einer
anderen Herberge. Zurück an der Rezeption höre ich, wie Fátima
über einen Pilger spricht, der kürzlich hier übernachtet hat und
laut schnarcht. Sofort denke ich an Joaquín, nenne laut seinen
Namen, worauf mir Fátima auf dem Computerbildschirm ein Bild zeigt,
auf dem Joaquín zu sehen ist. Ich bin froh, zu wissen, dass es ihm
gut geht. Er ist angeblich mit einer jungen Tschechin unterwegs. Am
Abend singen wir in gemütlicher Runde in mehreren Sprachen
Geburtstagsständchen.
15.5.
Vila do Conde → Esposende
Auf
dem Weg zum Ozean gehe ich durch ein durchaus sehenswertes Zentrum
mit imposantem Kirchenbau. Viele Läufer und Radfahrer sind am heutigen Sonntag
auf der Promenade unterwegs. Am Wasser suche ich mir eine geschützte
Stelle und frühstücke ein paar Orangen. Im Küstenstädtchen Póvoa
da Varzim sind viele Menschen unterwegs. Am Strand wird Volleyball
gespielt. Mit ihrem Fahrrad holt mich Nancy ein, die zeitweise in
Alaska lebt. Als ich mich unbewusst für den Weg durch die Dünen
entscheide, folgt sie einem anderen und womöglich dem richtigen Weg.
Offensichtlich befinde ich mich auf einmal an einem Nudistenbeach.
Eindeutige Posen verdeutlichen mir, dass es hier um wesentlich mehr
geht. Verwirrt wegen meines Irrweges stapfe ich durch den Sand auf
der Suche nach einer möglichen Querung der hohen Dünen. An einer
Stelle entschließe ich mich, die Düne hinaufzustapfen, doch die
andere Seite entpuppt sich schließlich als Golfplatz. Also geht es
weiter am Strand entlang. Als ich an einen kleinen Fluss gelange,
welcher in das Meer fließt, treffe ich auf die Spaziergänger Pedro
und seine aus La Coruna stammende Frau. Sie meinen, zur Querung des
Flusses gäbe es keine Alternative, sodass mir keine Wahl bleibt und
ich barfuß durch das Wasser gehe. Ihr Angebot, mich nach Esposende
mitzunehmen, nehme ich dankend an, denn durch den Sand zu stapfen,
ist ziemlich anstrengend und zu weiteren Kilometern zu Fuß wäre ich
heute kaum in der Lage. Als wir auf der Promenade spazieren, spricht
die Spanierin in hervorragendem Englisch über die hiesige meist
fehlende Küstenbebauung. Sie meint, dass die Portugiesen die
Uferfreiräume viel mehr respektieren als die Spanier. Während der
Autofahrt erhalte ich interessante Informationen über die zu
passierenden Ortschaften. An der Albergue in Esposende setzen sie
mich ab und warten, ob mir jemand die Tür öffnet. Zu meiner
Überraschung öffnet mir Christian aus Österreich und teilt mir
mit, dass ich mich am Gebäude des Roten Kreuzes anmelden müsse.
Pedro fährt mich freundlicherweise auch dortin. Wieder eine
Begegnung mit Einheimischen, über die ich mich sehr gefreut habe.
Bei zwei sehr sympathischen Mädels des Cruz Roja checke ich ein.
Zurück in der Albergue entscheide ich mich für ein oberes Bett am
Fenster, gehe zum Strand und nehme - etwas windgeschützt in der Düne
liegend - ein Sonnenbad. Mit seinem felsigen Untergrund lädt der
Strandabschnitt hier nicht zum Baden im Meer ein. Zurück im
Dormitorio treffe ich auf Diana und mache Bekanntschaft mit Carminda
aus Portugal, Sabine aus Berlin/Neuköln und zwei Polen, wobei es
sich um Vater und Sohn handelt. Später bezieht neben mir ein
litauisches Paar ihre Betten und mit Erstaunen stelle ich fest, dass
der Mann blind ist.
16.5.
Esposende → Viana do Costelo
Als
Letzter verlasse ich die Albergue kurz vor 9 Uhr, während eine Frau
darauf wartet, mit der Zimmerreinigung beginnen zu können. Einige
hundert Meter weiter hole ich einige der anderen Pilger ein und kaufe
mir Kekse in einem kleinen Laden. Gemeinsam mit Diana betrete ich
eine Kirche und füllen unsere Pilgerpässe mit einem weiteren
Stempel. Wir treffen auf das Paar aus Litauen, das trotz der
Sehbehinderung des Mannes flott auf dem unwegsamen Gelände unterwegs
ist. Beide scheinen ein eingespieltes Team zu sein. Unser
Etappenziel, Viana do Costelo, erreichen wir bereits am frühen
Nachmittag. Zwar lässt man uns noch nicht eintreten, doch dürfen
wir unsere Rucksäcke verstauen, bis das Kloster um 15 Uhr seine Tür
für Pilger öffnet. In der Zwischenzeit esse ich im Zentrum Mittag.
Pünktlich zurück am Kloster, werden wir von einem alten Mann
hineingebeten. Nach der Dusche treffe ich im Dormitorio auf Sabine
und Heli. Zu Helis Erstaunen befindet sich heute unter den Pilgern
noch jemand, der ein wenig Finnisch spricht, denn auch der Schweizer
Viktor hatte eine Zeit lang im hohen Norden verbracht. Die Minuten
andauernde Diskussion zwischen Heli und Diana über die
Schlafposition von Diana bzw. die Stelle, an die Diana ihren Kopf
legt, ohne dass Heli beim Erklimmen der Leiter darauf tritt, wird zum
großen Lacher. Nachdem wir gemeinsam zu Abend gegessen haben,
treffen wir direkt vor dem Kloster auf Marco, Carminda und Michaela,
die in einer nahe gelegenen Jugendherberge ihr Quartier bezogen
haben. Unglaublich, dieser Zufall. Im Schlafsaal kriege ich aufgrund
von Moskitos kein Auge zu, greife mir die Matratze und lege mich im
Nachbarzimmer auf den Boden, doch auch hier bringen mich die
Blutsauger um den Schlaf. Ich erinnere mich, dass ich am Abend zuvor
Heli das Wort 'Moskito' sagen hörte, was aufgrund ihrer Aussprache
besonders lustig klang, aber leider nicht weiter beachtet wurde.
17.5.
Viana do Costelo → Caminha
Um
7:15 Uhr geht es los. Sabine schließt sich mir an und gemeinsam
suchen wir die gelben Pfeile. Nichts. Nur gelbe Fußabdrücke, deren
Bedeutung wir nicht kennen. Ich gehe voran, da Sabine ein langsameres
Tempo hat. Zwar ist das Ok für sie, dennoch begleitet mich vor allem
aufgrund der fehlenden Orientierung ein schlechtes Gefühl, als ich
mich umdrehe und sie schließlich nicht mehr zu sehen ist. Als ich
das Meer erreiche, entdecke ich die gelben Pfeile. Vor mir erkenne
ich Heli an ihrem Rucksack. Wir gehen nun gemeinsam. Ihre
Gesellschaft gefällt mir sehr, denn sie redet ruhig und bedacht. Als
wir eine Pause machen, geht Viktor vorbei. Er scheint es zu
bevorzugen, immer allein zu gehen. Nun geht es teilweise direkt am
Strand entlang und wir überqueren barfuß einen ins Meer mündenden
Fluss. Der Holzsteg ist an vielen Stellen versandet, was ein
Passieren sehr erschwert. Die Küstenlandschaft ist sehr schön. Heli
ist etwas langsamer als ich, sodass ich allein weitergehe. Ich
wandere einen scheinbar endlosen Holzsteg entlang, stapfe einige
Meter durch den Sand und überquere eine Brücke, bis ich in einer
Touristen-Information Pause mache. Vor mir liegen weitere acht
Kilometer und die Sonne brennt. Die streckenweise schnurgeraden
Straßen scheinen kein Ende zu nehmen. Ziemlich ausgelaugt erreiche
ich den sehr belebten Marktplatz von Caminha und treffe gemeinsam mit
dem arroganten Manfred und seiner Frau in der Albergue ein. Ich
entscheide mich auch hier wieder für ein oberes Bett, esse auf dem
Marktplatz einen Hamburguesa mit Pommes und gehe zum ziemlich
entfernten Strand. Das Wasser ist sehr kalt, sodass es bei einem
kurzen Bad bleibt und auch auf dem Handtuch verweile ich nicht lange,
da es sehr windig ist. Auf dem mittlerweile leeren Marktplatz esse
ich gemeinsam mit den anderen Pilgern zu Abend und zurück in der
Albergue scherze ich mit Carminda über den stets schnarchenden
Litauer Castides, den ich in der Nacht mit meinem Wanderstab anstoßen
könnte, sofern es zu laut werden sollte.
18.5.
Caminha → Mougás
Es
hieß gestern, dass die Fähre um 9 Uhr ablegt. Vor Ort sagt man uns
heute jedoch, dass die Überfahrt erst um 10:30 Uhr erfolgt. Nun gut,
dann kann ich nochmal ins Zentrum, um ein wenig Proviant einzukaufen.
Marco spendiert einen Ananaskuchen, den er zuvor von einer Gruppe
Schulkindern auf dem Marktplatz gekauft hat. Die Fährfahrt dauert
lediglich 10 Minuten und nun stellen wir unsere Uhren um eine Stunde
vor, da wir uns auf spanischem Boden befinden. Mit einem Bauern
unterhalte ich mich, während er seine Kartoffeln spritzt. Ich
genieße das Gespräch, da ich endlich mal wieder Spanisch höre und
meine Sprachkenntnisse anwenden kann. Den Ort Oia durchquere ich und erreiche in Mougás die 2010 eröffnete Albergue Turístico Aguncheiro. In
einer kleinen Felsenmulde nehme ich ein erfrischendes Bad. Im
Restaurant bestelle ich eine Tortilla Francesa. Mit Heli gehe ich
entlang von riesigen Aloe Vera-Pflanzen spazieren und wir genießen
den Sonnenuntergang.
19.5.
Mougás → Ramallosa
Nachdem
ich den Ort Mougás verlassen habe, sehe ich im Nebel an der felsigen
Küste einige Fischer, die vermutlich die berühmten percebes (Entenmuscheln) sammeln. Um diese Delikatesse zu ernten, begeben sich die Fischer in Lebensgefahr, denn die See ist zumeist sehr rau. Als ich Heli
einhole, gehen wir gemeinsam weiter und nehmen in Baiona einen Happen zu
uns. Nach einigem Unherirren erreichen wir schließlich das Gelände des im 17. Jahrhundert erbauten Pazo de Pías. Die quirlige Frau an der Rezeption meint, dass es die beste
Albergue überhaupt sei. Besonders froh bin ich über Badewanne, in
die ich sogleich steige. Auch Carminda, Michaela und Viktor nächtigen
heute hier. Gemeinsam verbringen wir den Abend auf dem Rasen im
Vorgarten.
20.5.
Ramallosa → Redondela
Nach
einem Melonenfrühstück starte ich um 9 Uhr. Da außerhalb des Ortes
an zwei Stellen gelbe Pfeile durchgestrichen sind oder in
unterschiedliche Richtungen weisen, bin ich verwirrt, schlage dennoch
den richtigen Weg ein. Der linke Tragegurt meines Rucksack drückt
unangenehm auf meine Schulter und trotz mehrmaliger Begutachtung des
Gurtes kann ich die Ursache nicht feststellen. Ich treffe erneut auf
die zwei Polen, die mir erzählen, dass sie die Stadt Braga
besichtigt haben. Zu einem späteren Zeitpunkt sehe ich, wie Vater
und Sohn nebeneinander unter Bäumen liegen und Siesta zu machen
scheinen. An einer Kirche trage ich Sonnencreme auf und drei Senioren
fragen mich, ob ich allein unterwegs sei. Als ich bejahe, meinen sie,
dass es gefährlich sei, denn schließlich sei vor etwa drei Monaten
eine deutsche Pilgerin verschwunden. Näheres weiß man nicht. Ich
weiß mich mit meinem Wanderstab zu verteidigen, antwortete ich und
setzte meinen Weg in Richtung Vigo fort. Auf einen längeren
Aufenthalt in der Stadt habe ich keine Lust. Ich hoffe, die Vorstadt
von Vigo schnell hinter mir zu lassen, doch es dauert lange, bis ich
die die Stadt umgebenden Hügel erreiche, von denen sich herrliche
Blicke auf den Hafen bieten. Die Wald- und Feldwege scheinen kein
Ende zu nehmen. In Redondela angekommen, frage ich eine Rentnerin
nach dem Weg zur Albergue. Kaum habe ich drei Worte gesagt, ruft sie
ihren Mann herbei und teilt ihm mit, dass hier ein Alemán vor ihr
steht. Freundlich hilft er mir, mich zu orientieren. In der
Innenstadt treffe ich auf Christian und Ricci, die mir sagen, dass
die Albergue schon ziemlich belegt ist. Tatsächlich nimmt sie keinen
Pilger mehr auf und ich werde auf die Nebenstraße aufmerksam
gemacht. Im Hostel Rosa kehre ich ein und zahle 13 Euro für die
Nacht, ohne Frühstück. Nach der Dusche begegne ich einem
niederländischen Pilger-Paar, das mit dem Fahrrad unterwegs ist,
seit 18 Jahren in Portugal lebt und hier einen Milchbetrieb besitzt.
Mein Zimmer teile ich mit zwei Frauen aus Polen. Innerlich schmunzele
ich, als mir eine von ihnen erzählt, dass sie vermutlich von
Bettwanzen gebissen wurde, denn bisher hatte ich nur einen Pilger
kennengelernt, der von Bettwanzen heimgesucht wurde, und das war
ebenfalls ein Pole. Offensichtlich haben es die portugiesischen bed
bugs auf polnische Pilger abgesehen. In der Stadt kaufe ich Brot und
Aufschnitt und setze mich auf eine Bank nahe der Pilgerherberge. Mit
einem Italiener, den ich bereits vor Porto flüchtig kennengelernt
hatte, unterhalte ich mich nur kurz. Zurück im Hostel creme ich
meine Füße ein und beobachte einen Schwarm Moskitos in der
Zimmermitte kreisen.
21.5.
Redondela → Briallos
Gegen
6:30 Uhr stehen meine polnischen Zimmergenossinnen und ich auf. Wider
Erwarten wurde ich in der Nacht nicht durch Moskitos belästigt. Wie
angekündigt, schließt Hostelchefin Rosa Punkt 7 Uhr auf und wünscht
Buen Camino. Da ich den Schriftzug 'Santiago' auf dem Asphalt nicht
sehe, mache ich einen großen Umweg. Ich treffe Christian und Ricci,
denen ich auf Nachfrage erzähle, dass ich einmal wöchentlich eine
SMS in die Heimat schicke. Für Christian, der selbst einen
erwachsenen Sohn hat, wäre das zu wenig. Heute sind deutlich mehr
Pilger unterwegs, als ich bislang gewohnt war. Im Wald verkaufen zwei
Händler Armbänder. In einer kleinen Kirche sorge ich für einen
weiteren Eintrag in meinem Pilgerpass und in einem Restaurant esse
ich einen großen Bocadillo – Pechuga completo – zu einem
günstigen Preis. Mit Eduardo, Vera und José aus Portugal gehe ich
ein Stück gemeinsam. Als es zu nieseln beginnt, erreiche ich die
Herberge in Briallos. Mir begegnen ausnahmslos Deutsche, die dieses
abgeschieden gelegene Quartier mit offener Tür ohne Verantwortlichen
vorgefunden haben. Im
Erdgeschoss des sauberen Hauses befinden sich Küche und Duschräume
und im Obergeschoss bieten zwei Schlafsäle mit je sechs Stockbetten
Platz für 24 Personen. Zwischen den beiden Schlafräumen stehen -
über Schiebetüren erreichbar - zudem sich gegenüberliegende
Bereiche mit Toiletten und Waschbecken - nach Geschlechtern getrennt
- zur Verfügung. Es heisst, dass es im Ort einen Einkaufsladen
gibt. Ich verlaufe mich und treffe auf einen alten Mann, der mir den
Weg weist. Kurz bevor ich vor dem Laden stehe, kommt der alte Mann
auf seinem Roller angefahren, um zu sehen, ob ich den richtigen Weg
gegangen bin. Der Typ ist mir sympathisch. Ich kaufe Brot, Wurst,
Paprika und Orangen ein. Nach einer langen Dusche esse ich gemeinsam
mit den Portugiesen, die eigentlich nur den Regen abwarten und
weitergehen wollen, da sie keine Schlafsäcke dabei haben und es hier
keine Decken gibt. Eduardo erzählt mit Leidenschaft von seiner
portugiesischen Heimat und insbesondere von der Weinkultur. Zwei
spanischen Pilgern helfe ich beim Check-In. Unter der Telefonnummer,
die an der Eingangstür notiert ist, erreiche ich die
für die Herberge verantwortliche Person und frage nach möglichen
Decken für die Portugiesen. In dieser Herberge zählen Decken
angeblich nicht zur Grundausstattung und auch die Frau, die später
eintrifft, um den Betrag für die Übernachtung zu kassieren, bringt
keine Decken mit, sodass die Portugiesen ohne Decken schlafen müssen.
22.5.
Briallos → Teo
Nach
einem Frühstück, welches aus Brot, Salami und Paprika und damit den
Resten des Abendessens besteht, breche ich bei klarem Wetter als
Vorletzter kurz vor 8 Uhr auf. Teilweise
entlang der Hauptstraße N-550 wandernd, erreiche ich nach etwa einer
Stunde das circa fünf Kilometer entfernte Caldas de Reis und einen Großteil der Deutschen habe ich mittlerweile
überholt. Zwei Mitarbeiter der Protección Civil halten mich an, da
sie eine Statistik zum Pilgeraufkommen
durchführen. Sie möchten unter anderem wissen, welcher Nationalität
ich angehöre, wo ich die letzte Nacht verbracht habe und welches
mein heutiges Etappenziel ist. Im Anschluß wird mir auf Nachfrage
bestätigt, dass vor einigen Monaten eine Frau auf dem Jakobsweg verschwunden sei. Es
gäbe allerdings bisher keine Spur. Nachdem die Beamtin des
Zivilschutzes einen Stempel in meinen Pilgerpass einträgt, setze ich
meinen Weg durch eine reizvolle grüne Landschaft fort und denke über das Verschwinden der Pilgerin nach.
Sie könnte tatsächlich einer Straftat zum Opfer gefallen sein.
Möglicherweise hat sie aber den Pilgerweg genutzt, um woanders ein
ganz neues Leben zu beginnen. Ich kämpfe mich durch die
Menschenmenge in Padrón. Heute ist Markttag. Gegen 13:45 Uhr
begutachte ich die örtliche Albergue und stehe im größten
Schlafsaal, den ich seit Beginn meiner Reise gesehen habe. Einige der
etwa 60 Betten sind noch frei. Ich frage die Empfangsdame, wieviele
Betten es in der nächsten Albergue, in Teo, gibt. 18, antwortet sie
mir. Freundlicherweise wählt sie die Telefonnummer in Teo, um die
freien Kapazitäten zu erfragen, doch leider nimmt am anderen Ende
niemand ab. Ich gehe das Risiko ein, kein Bett zu bekommen, und
verabschiede mich, zumal es gerade einmal 14 Uhr ist und ich noch
Power habe. Bis Teo sind es etwa 10 km. Ich bin zumeist auf Feldwegen unterwegs und sehe eine ganze Weile lang mehrere hundert Meter vor mir eine junge Frau gehen. Sie legt ein
gutes Tempo vor, es dauert lange, bis ich sie kurz vor Teo eingeholt
habe. Sie ist US-Amerikanerin und hat hier in einer Pension ein
Zimmer reserviert. Letztendlich ziemlich erschöpft erreiche ich die etwas abseits der Hauptstraße gelegene Albergue,
zahle bei der jungen Hospitalera für die Übernachtung sechs Euro, schreite die Treppe hinauf und begegne im Schlafsaal einer
Handvoll Asiaten. Auf meinem Bett liegen Einmalüberzüge für Kopfkissen und Matratze. Das Duschwasser ist kalt. Ob die US-Amerikaner mit
phillipinischen Wurzeln das ganze warme Wasser aufgebraucht haben?
Ich frage mich, warum diese Albergue drei Muscheln (ähnlich dem Sterne-Prinzip bei Hotels) erhielt. Mir
fehlen vermutlich die Vergleichsmöglichkeiten auf dem Camino
Francés. Egal. Mit der Niederländerin Riana und den Italienern
Silvano und Romeo esse ich in einer etwa 300 Meter entfernten Bar zu Abend. Ich bestelle Pimiento de Padrón
und einen riesigen Hamburguesa. Die Italiener erzählen vom Camino a
Assisi, dem Franziskusweg. Zufällig hatte ich vor einigen Monaten
einen Film über den heiligen Franz von Assisi gesehen. Dass es einen
Pilgerweg gibt, erstaunt mich daher wenig. Riana meint, dass im
vergangenen Jahr eine Frau auf dem Camino Francés verschwunden und vor wenigen Wochen eine Frau auf dem Camino Portugués missbraucht
worden sei. Zwar ist Riana meist allein unterwegs, aber Angst machen
ihr solche Geschichten nicht, da so etwas überall passieren kann.
Hinsichtlich meines besonders geschundenen kleinen Zehs am linken Fuß
empfiehlt mir Riana in Santiago eine Petiküre durchführen zu lassen
und sponsort zwei Compeed-Pflaster. Während eines Kurses in
Österreich hat sie 'richtig'
Gehen gelernt. Ein 'Rollen'
der Zehen gilt es zu vermeiden, da es zu Reibung führt. Silvano
und Romeo sind in Santiago gestartet und wollen von Vigo nach Porto
pilgern. Da ich von dem Küstenweg schwärme, notieren sie sich die
auf dem Weg befindlichen Alberguen. Kaum sind die gebürtigen Asiaten
um 21 Uhr eingeschlafen, beginnt einer von ihnen laut zu schnachen.
Interessant ist es zu sehen, wie ein Paar von ihnen gemeinsam im
unteren Etagenbett liegt.
23.5.
Teo → Santiago de
Compostela
Einer
jungen Niederländerin geht es nicht gut. Sie und ihr Freund werden
erst später starten. Als
ich mich kurz verlaufe, indem ich auf der Suche nach dem richtigen
Weg die Vortagesstrecke zu weit zurücklaufe, schmerzt die Blase an
meiner linken Ferse stark. Vermutlich habe ich es gestern mit den fast 34 km übertrieben. Ich
wechsele den Schuh und nehme das erste Mal während meines Caminos eine
Schmerztablette. Es dauert nicht lange und es ist deutlich besser.
Liegt es an der Tablette oder an der Routine des Gehens? Auf einem
Feld unterhalte ich mich mit einem Farmer, während er seinen Mais
vereinzelt bzw. Unkräuter – hierbas malas – entfernt. Minuten
später begegne ich einer Frau, die einen mit einem Pestizid
gefüllten Karnister auf dem Rücken trägt und zu ihrem
Kartoffelacker unterwegs ist. Diese Begegnungen gefallen mir
besonders. Menschen und ihr alltägliches Leben auf dem Land. Das
Stadtgebiet von Santiago zu erreichen, ist auf den letzten Metern
ziemlich erschwerlich, denn es geht teilweise ziemlich steil bergauf.
An einer Weggabelung rät mir ein freundlicher alter Mann geradeaus
zu gehen, da ich dadurch zwei Kilometer sparen könnte. Am Parque de
la Alameda angekommen, erinnere ich mich an den September 2003, als
ich hier täglich durchspazierte, um zum Spanisch-Intensivkurs zu
gehen. Den Praza do Obradoiro erreiche ich gegen 13 Uhr. Viele Pilger
sitzen auf dem gepflasterten Platz. Ich setze mich vor den
Raxoi-Palast und blicke auf die Kathedrale, die teilweise in Gerüsten
steht, und beobachte, wie sich Pilger bei der Ankunft auf dem Platz
in die Arme fallen. Ich erinnere mich, dass Marco sagte, dass es ein
sehr schönes Gefühl ist, gemeinsam mit anderen Pilgern, mit denen
man auf dem Weg viele schöne Momente teilte, den Platz zu erreichen.
Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Zwar bin ich nicht traurig,
allein angekommen zu sein, doch würde ich mich über ein Wiedersehen
einige Bekannter sehr freuen. Ich merke, dass ich erleichtert bin,
angekommen zu sein. Als ich die Hauptpforte passiert habe, werde ich
auf den östlichen Eingang verwiesen. Mulmig ist mir, meinen Rucksack
aufgrund der Sicherheitsvorschriften draußen unbeaufsichtigt stehen
zu lassen. Da ich allein bin, bleibt mir nichts anderes übrig, wenn
ich das Ankunftsritual vollziehen möchte. Ich habe großes Glück,
denn gerade findet die Pilgermesse statt und so umarme ich die Figur
des Apostels Jakobus des Älteren, während vor meinen Augen von acht
Tiraboleiros der berühmte 'botafumeiro', ein 54 kg schweres
Weihrauchfass, geschwungen wird. Als ich wieder draußen bin, treffe
ich Romeo aus Verona. Minuten später höre ich Diana meinen Namen
rufen. Sie und Marco sitzen gerade in einem Café – was für ein
Zufall. Wir sind froh einander zu sehen und tauschen uns bei einem
Radler aus. Sie sind bereits am Vortag angekommen und hatten gestern
auch Joaquín getroffen. Nachdem wir gemeinsam Mittag gegessen haben,
nehmen wir von Diana Abschied. Sie wird weiter nach Finisterre gehen.
Der Zufall will es, dass wir uns ein paar Tage später wiedersehen.
Im Tourismusbüro erkundige ich mich nach Unterkünften und mache
mich auf den Weg zur nahegelegenen 'Mundoalbergue'. Für 22 Euro
steht mir ein Doppelbett zur Verfügung. Zwar hätte mir auch ein
Einzelbett gereicht, doch ist keines mehr frei. In den engen, von
Touristen und Pilgern verstopften Gassen treffe ich viele Deutsche
wieder, darunter Klaus, der mir von einer auf dem Praza do Obradoiro
installierten Webkamera berichtet, über die ihn sein Sohn im
Internet sehen konnte. Ich gehe zum Peregrino-Office, um meine
Compostela zu erhalten. Die Warteschlange ist sehr lang und nach etwa
eineinhalb Stunden halte ich meine Pilgerurkunde in der Hand. An der
Kathedrale bin ich mit Marco verabredet, um gemeinsam Abend essen zu
gehen. Ein Mann vom Sicherheitspersonal erzählt mir auf Nachfrage,
dass alle 20 Jahre – das letzte Mal 1983 – die Kathedrale von
Grünspan besäubert wird. Zudem wird der in den 1940er und 1970er
Jahren verarbeitete Zement durch ein kalkähnliches Mittel ersetzt,
da Zement den Stein nicht atmen lässt und Wasser eindringt. Zufällig
treffen wir auf Robert und Rebecca aus Australien und essen mit ihnen
gemeinsam. Nun verabschiede ich mich von Marco. Zurück im Hostel
liege ich in meinem Bett bequem und schlafe trotz eines lauten
Schnarchers gut.
24.5.
Santiago
Bereits
gestern hatte ich mich dagegen entschieden, weiter nach Finisterre zu
gehen, obwohl mein Rückflug erst am 2.6. geplant ist. Ein etwas
schmerzender Rücken und die Blasen an den Füßen veranlassen mich,
meinen Rückflug umzubuchen. Für 20 Minuten Computernutzung zahle
ich einen Euro und verlege meinen Vueling-Flug für eine Gebühr von
90 Euro auf den 26.5 vor. Für die folgende Nacht ergattere ich eine
Matratze für 14 Euro in der sogenannten Galeria. Heute ist es leider
kühl und feucht. Nachdem ich eine Zeit lang im Parque de la Alameda
verweile, treffe ich im Hostel auf Sandra und Christian. Sandra macht
auf mich einen sehr ausgeglichenen Eindruck und erzählt mir, dass
sie stets ihrem Körpergefühl vertraut und daher keine Blasen hat.
Um Reibungen zu verhindern, beklebt sie ihren gesamten Fuß mit
Heftpflastern. Sie geht eher langsam, wie eine Tortuga, die auch ihr
Haus/Gepäck auf dem Rücken trägt. Christian hat hingegen viele
Blasen. Er ist Portugiese und pilgert nicht nach Fátima, da der Ort
ihm zu kommerziell erscheint.
25.5.
Santiago → Muxía
Auf
der Matratze konnte ich ebenfalls bequem liegen. Zunächst dachte
ich, dass der Mann neben mir so laut schnarcht, doch war es
schließlich eine der Brasilianerinnen. Meinen gepackten Rucksack
darf ich auf dem kleinen Hof zwischenlagern, denn ich habe mich
spontan entschieden, mit dem Bus nach Muxía zu fahren, um Heli zu
besuchen, anschließend zu Fuß nach Finisterre zu wandern und von
dort den letzten Bus um 19 Uhr nach Santiago zu nehmen. Letztere Idee
ist allerdings sehr gewagt. Die Fahrt nach Muxía kostet acht Euro.
Um 10:45 Uhr erreicht der Bus dieses wunderschöne Fleckchen Erde.
Vom Santuario da Virxe da Barca hat man einen herrlichen Blick auf den Ozean. Nach
langer Suche stehe ich schließlich vor Helis Haus. Niemand öffnet.
Sie ist vermutlich noch unterwegs. Ich schreibe ihr eine Nachricht
und deponiere diese unter einem Stein auf der Türschwelle. Am
Ortsausgang zeigen am Ende des Holzstegs gelbe Pfeile in alle
Richtungen. Ich habe keine Ahnung, in welche Richtung es nach
Finisterre geht. Es ist niemand hier, den ich fragen kann und das
örtliche Tourismusbüro ist heute geschlossen. Da auch dunkle Wolken
aufziehen, beschließe ich in Muxía zu bleiben und mit dem Bus am
Abend zurück nach Santiago zu fahren. Ich suche erneut das
Santuario auf, esse im Zentrum ein Eis und lausche dem Gespräch
einer Gruppe von US-Amerikanerinnen. Eine von ihnen schwört auf
einen geschlossenen Tannenzapfen zur Massage der Füße. Angeblich
hätte sie diesen Tipp von einer Chinesin erfahren und letztendlich
kann sie weder über Blasen noch sonstige Schmerzen an den Füßen
klagen. Fünf Minuten vor Ankunft des Busses um 14:30 Uhr sehe ich
Diana mit ihrem Wanderstab an mir vorbeilaufen. "Diana"
rufe ich, während ich mich hinter den anderen Wartenden verstecke
und gebe mich schließlich zu erkennen. Es ist unglaublich, dass wir
uns auch hier wiedersehen. Zurück in Santiago begebe ich mich auf
die Suche nach einer Pulsera, einem Fuß(arm)band. Ich lege keinen
Wert auf die sonstigen größtenteils sehr kitschigen Souvenirs, aber
eine Pulsera möchte ich als Erinnerung an den Camino gerne haben.
Die Suche gestaltet sich als schwierig. In einigen Geschäften gibt
es so etwas gar nicht, anderswo gefallen sie mir überhaupt nicht.
Vorerst enttäuscht verlasse ich das geschäftige Treiben der
Altstadt und statte dem Wohnheim 'Fonseca' einen Besuch ab. Zurück
in der Souvenirmeile kann ich mich schließlich doch noch für ein
Fußband begeistern. Der heilige Jakobus scheint allgegenwärtig,
denn ich treffe Carminda. Ein paar Minuten später begegnet uns Heli
und nachdem wir gemeinsam in einer Bar 'Churros' essen, treffen wir
Viktor. Mit seinen knapp 100.000 Einwohnern ist die Hauptstadt
Galiziens nicht sehr groß, doch in der Altstadt tummeln sich
hunderte von Menschen und dass sich Pilgerbekanntschaften nach
mehreren Tagen ohne Kontakt hier wiedersehen, ist schon ein kleines
Wunder.
26.5.
Nach
23 Tagen auf dem Camino Portugues und zwei Tagen in Santiago (und
Muxía) trete ich die Heimreise an. Für mich war es der erste
Camino. Er war zweifelsfrei eine Herausforderung. Während an den
ersten Tagen hohe Temperaturen herrschten und mich teilweise vor
Wassermangel die Kraft verließ, regnete es anschließend eine ganze Woche lang
fast ununterbrochen durch,
was ein Trocknen der Kleidung und Schuhe unmöglich machte. So manches Mal war ich kurz davor, eine
Etappe zu überspringen und meinen von Blasen geschundenen Füßen
einen Tag Erholung zu gönnen. Ich habe Respekt vor dem Weg. Es wird
nicht mein letzter gewesen sein.
> 1./26.-V-'16 <