Unterwegs am Elbstrom
Voller Vorfreude auf eine zweitägige Radtour versammeln wir uns mit unseren drahtigen Eseln am späten Samstagvormittag auf dem Parkplatz des Seehäuser Friedhofs. Zur Überraschung einiger – andere sind hingegen überhaupt nicht überrascht – reist Marcel aus dem fernen Arendsee mit dem Auto an und kramt sein Rad aus dem Kofferraum ins Freie. Er entscheidet sich spontan gegen die Mitnahme seines blauen Einkaufskorbes und setzt seinen übersichtlich gepackten Rucksack auf. Auch Kai wird mit kleinem Gepäck reisen, während Ines' Fahrradkörbchen und Frannys Fahrradtaschen prall gefüllt sind. Die Erwähnung des Dynamo-Betriebes veranlassen Ines kurzerhand dazu, sich von Franny, der kundigen Fachfrau für Fahrradtechnik, über die Funktionsweise ihres eigenen Dynamos zu informieren, bevor wir bei herrlichstem Sonnenschein in die Pedalen treten und uns nordostwärts auf den Weg Richtung Beuster begeben. Nachdem die ehemalige Zollbrücke überfahren und der erste Kilometer geschafft sind, zwingen uns seltsame Geräusche an Frannys Fahrrad zum Anhalten. Schnell ist das Problem identifiziert und die Kunststoff-Verkleidung, die in die Speichen ragt, entfernt. Ein paar hundert Meter weiter kommen die Bremsen erneut zum Einsatz, da plötzlich zwei Wildschweine auf dem Acker gesichtet werden, die mit hohem Tempo über die Landstraße rennen und offensichtlich auf der Flucht sind. Es soll nicht bei der einen Begegnung mit heimischem Wild an diesem Tage bleiben. Entlang von gut tragenden Obstbäumen geht es weiter, bis schließlich das Blaulichtmuseum in Beuster erreicht ist. Ein freundlicher Herr nimmt uns in Empfang und informiert über den Eintrittspreis in Höhe von 4 Euro. Auf seine Frage nach der Länge der angebotenen Führung erhält Marcel eine enttäuschende Antwort. Die Sichtung historischer Polizei-, Militär- und Regierungsfahrzeuge würde eine ganze Stunde dauern. Das ist uns eindeutig zu lang. Auch aus einer Tasse Kaffee wird nichts, denn der vermeintliche Verkaufsraum, den Marcel im Auge hat, hat nur noch Schauwert. Abgesehen davon scheint der Genuss einer Tasse Kaffee an die Teilnahme an einer Führung gebunden zu sein. Wir besteigen wieder unsere Drahtesel und durchfahren den beschaulichen Ort. Auf dem Elbdeich legen wir die erste Brotzeit ein und verspeisen auf den ausgebreiteten Decken bei herrlichem Blick auf die Elbaue leckere Brote, vegane Snacks und Schokolade.
Eine
gute Stunde lassen wir uns auf dem Elbdeich von der Sonne streicheln,
bevor die Fahrt weitergeht. Offensichtlich hat Ines ihr Rad schwer
beladen, denn sie verstreut mehrmals ihre Habseligkeiten auf dem
Radweg. Zügig erreichen wir die südöstlich von Wittenberge
liegende Elbebrücke und können diese fast über die gesamte Länge
von 1030 Metern fahrend überwinden. Auf brandenburgischem Boden
folgen wir dem blauen 'e' auf weißem Grund in Richtung Lenzen. Am am
Sportboothafen gelegenen Restaurant 'Zum Fährmann' legen wir eine
Rast ein, um ein leckeres Eis zu genießen. Ein älterer Herr lässt
uns an seinem Tisch auf der sonnenverwöhnten Terrasse Platz nehmen.
Nachdem die Bestellung aufgegeben und das blanke Entsetzen in Ines'
Gesicht über die in die Jahre gekommenen Schokoladenstreusel auf
meinem Cappuccino-Eis verschwunden ist, lässt sich Ines ein Eis mit
heißen Himbeeren schmecken, während Marcel Stracciatellaeis löffelt
und Kai sich mit drei Kugeln Schokoladeneis zufrieden gibt. Franny
wird für ihr anfängliches Warten mit dem scheinbar größten
Eisbecher belohnt. Auf Marcels Frage "Na, und sonst?" wird
seitens des schweigsamen Herrn an unserem Tisch nicht reagiert.
Gestärkt mit hunderten von Kalorien steigen wir wieder aufs Rad und
setzen unsere Tour elbabwärts fort. Mutig durchfahren wir
Insektenschwärme und schießen dank des mitgebrachten Selfie-Stabs
Fotos während der Fahrt. Im zur Gemeinde Cumlosen gehörenden
Gemeindeteil Müggendorf beschließen wir erneut zu rasten und finden
dafür direkt am Elbufer eine gemütliche Stelle.
Rast in Müggendorf |
Nachdem
wir unsere ausgeruhten Körper wieder auf die Räder geschwungen
haben, entdecken wir plötzlich ein Reh, das - aufgescheucht durch
einen Mähdrescher - aus dem Maisfeld flüchtet und nach ein paar
Metern zurück in die Todeszone rennt. Da das entsprechende Maisfeld
nur noch eine Drescher-Spur breit ist, sind wir gespannt, ob wir das
Reh noch einmal zu Gesicht bekommen werden und harren auf der Deichkrone neugierig aus.
Schließlich bleiben nur noch wenige Meter Maisfeld übrig, bevor wir
das Tier im Eiltempo davonlaufen sehen. Den Ortsteil Lütkenwisch
durchfahren, begrüßen uns links und rechts weidende Rinder. Wir
haben Glück und die Elbfähre Schnackenburg-Lütkenwisch hatte
gerade auf der rechtselbischen, also unserer Seite, angedoggt, sodass
es sofort weitergeht. Dem freundlichen Fährmann stecken wir 2 Euro
zu und wir genießen den Blick auf den Elbstrom.
Auf der Fähre nach Schnackenburg |
Auf
die Geste von Marcel, der uns unbekannten Person am Schnackenburger Ufer zuzuwinken,
reagiert diese mit einem zügigen Zurückwinken. Nun werden alle zehn
Arme in den Himmel gereckt und wir freuen uns über soviel
Gastfreundschaft auf der anderen Seite. Angekommen auf
Schnackenburger Boden machen wir Bekanntschaft mit einer Frohnatur
aus Bayern. Seit dem 1. August ist sie entlang des Grünen Bandes
unterwegs und sichtlich glücklich, endlich die Elbe erreicht zu
haben. Da sie ebenfalls in Schnackenburg übernachten wird,
verabreden wir uns mit der über das ganze Gesicht strahlenden
Wanderin zum Abendessen im 'Café Felicitas'. So freundlich wir an der
Fährstation empfangen wurden, so unfreundlich empfängt man uns im 'Café Felicitas'. In schroffem Ton schicken uns die hiesigen
Wirtsleute weiter zu unserem Quartier, der 'Alten Schule', wo uns zur
großen Freude ein freundlicher Eigentümer empfängt. Wir verstauen
unser Gepäck in den Zimmern und suchen erneut das 'Café Felicitas'
auf, denn es ist das einzige Restaurant im Ort. Hungrig nehmen wir am
Tisch unserer Bekannten aus Bayern Platz und stellen uns einander
vor. Heidi verzehrt gerade einen Salat, dessen nostalgische
Aufmachung uns an DDR-Zeiten erinnert. Ausnahmslos entscheiden wir
uns für Schnitzel mit Bratkartoffeln und einige gönnen sich noch
eine Tomatensuppe, die man sicher aber auch hätte sparen können.
Wir verleben einen sehr schönen unterhaltsamen Abend. Heidi erzählt
uns von ihrer mittlerweile achtwöchigen Reise, über ihre
Übernachtung über einem Wurstmuseum, Blasen und Stürzen. Gegen 22 Uhr
brechen wir in der Hoffnung auf, uns am nächsten Morgen wieder zu
begegnen. Gemeinsam wird unter den Ahörnern auf dem Hof der 'Alten Schule' das Zelt aufgebaut und
anschließend im Bett gelümmelt. Offensichtlich sind wir nicht satt
geworden, denn wir stopfen uns mit Fruchtgummis in Form eines
Affenkopfes voll. Müde suchen wir unsere Nachtlager auf und freuen
uns auf einen sonnigen Sonntag. Die Übernachtung im Zelt war
offensichtlich ruhiger als die im Haus, denn die Spülung war
unentwegt ingange und laut. Gegen 9 Uhr begrüßt uns im
Frühstücksraum die freundliche Inhaberin und wir bedienen uns am
reichhaltigen Buffett und nehmen in der Kaffeekannenstube Platz.
Sollten wir Fragen haben oder sollte etwas fehlen, können wir gerne
Inhaberin Felicitas fragen. Marcel erkundigt sich nach Rühreiern –
Felicitas, die durch die Heirat mit Herrn Jessen ihren Geburtsnamen
Langnese losgeworden ist, muss verneinen. Felicitas klärt uns über
die Organisation der Häuser 'Café Felicitas' und 'Alte Schule' auf. Das Frühstück ist umfangreich und
lecker. Heidi kommt mit ihren Trekkingstöcken hereinspaziert und vor der 'Alten Schule' machen wir ein Abschiedsfoto, bevor wir die Wanderin Richtung Travemünde weiterziehen lassen.
Wir
holen unsere Räder aus dem Fahrradschuppen und fahren zum
Grenzlandmuseum am Hafen. Das mehretagige 'Alte Fischerhaus' erinnert
mit einer ständigen Ausstellung an die 45 Jahre andauernde Teilung
Deutschlands. Nachdem wir mit 2,50 Euro Eintritt ein weiteres
Bestehen des Museums sichern, informieren wir uns anhand von
Zeitdokumenten, Uniformen, Ausrüstungsgegenständen, Grenzeule und
Flucht-Geschichten über das Leben in der Grenzregion. Unser Wissen
um einen grausamen Teil der DDR-Vergangenheit wieder aufgefrischt,
fahren wir weiter zum am Schutzhafen gelegenen hölzernen
Aussichtsturm, um aus 14 Metern Höhe die Mündung des Alands in die
Elbe zu sehen und einen Blick auf die mit 600 Seelen kleinste Stadt
Niedersachsens zu genießen. Unweit vor unseren Augen fliegt eine
Gans vorbei. Viele Radfahrer sind heute unterwegs und das Wetter ist
noch besser als am Vortag. Wir verlassen die östlichste Gemeinde
Niedersachsens und fahren auf dem Deich entlang, bis wir bei Aulosen
auf die Landstraße wechseln, welcher wir bis Wanzer folgen. Das
Herbstfest in Wanzer erfreut sich eines großen Publikums. Wir
schauen einem Rentnerpärchen dabei zu, wie es mit Hilfe einer
Hydropresse frischen Apfelsaft herstellt und sind vom Geschmack so
begeistert, dass wir mehrere pasteurisierte Flaschen erwerben, deren
Inhalt sich später allerdings als deutlich saurer herausstellen
wird. Gestärkt mit einem Fischbrötchen fahren wir nun auf dem Deich
weiter und machen hinter der Wahrenberger Brücke am Alandufer erneut
Rast. Die Brücke im Blick, erinnern wir uns an die letzte Nacht
unserer tollen Kanutour vor vier Jahren. Während die Anderen die
warmen Sonnenstrahlen genießen, genieße ich ein erfrischendes Bad
im Fluss, welchen ich an dieser Stelle im kniehohen Wasser überqueren
kann. Wir beschließen im kommenden Jahr statt einer Radtour eine
mehrtägige Wanderung zu unternehmen und schwingen uns wieder in
unsere Sättel. Am Krüdener Brack biegen wir in Richtung Hauptstraße
ab, gönnen unseren Hintern vor dem 'La Palma' ein wenig Erholung und
kehren schließlich gegen 17 Uhr an den Startpunkt unseres
Wochenendausfluges zurück.
> 24./25.-IX-'16 <
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