Mit dem Fernbus nach Lissabon


Statt mit dem Flugzeug nach Lissabon zu fliegen, um mich von dort aus auf den etwa 620 km langen Camino Portugues zu begeben, nehme ich die Möglichkeit wahr, Erfahrungen mit Fernbussen zu sammeln und mir zugleich ein Bild der Städte Paris, Barcelona und Zaragoza zu machen. Vier Tage wird die Fahrt in die portugiesische Hauptstadt dauern.

An einem Montag Ende April geht die Reise los. Während am Vortag noch Schneeregen meinem Heimatstädtchen eine spätwinterliche Atmosphäre verlieh, steige ich am Montagmorgen bei herrlichem Sonnenschein in die Bahn nach Hannover. Einen kurzen Aufenthalt nutze ich, um mich in einem Sportgeschäft unweit des Bahnhofs mit einer neuen Softshell-Jacke einzukleiden. Pünktlich um 13:30 Uhr fährt der Fernbus des Unternehmens 'Megabus' (welches mittlerweile von Flixbus aufgekauft wurde) am ZOB ab. Viele Sitzplätze bleiben leer, sodass ich mich auf eine ruhige Fahrt nach Köln freue. Es vergehen nur wenige Minuten, da fängt der Fahrgast in der Sitzreihe hinter mir laut zu schnarchen an. Zum Glück habe ich mein MP3-Player dabei. Mit einstündiger Verspätung trifft der Bus bei schmuddeligem Wetter um 18:30 Uhr am Fernbus-Terminal des Flughafens Köln/Bonn ein. Nun gilt es mehrere Stunden Zeit im Inneren des Flughafengebäudes totzuschlagen, bevor es um 22 Uhr mit dem nächsten Megabus in Richtung Paris weitergeht.

Paris

Nur etwa eine Handvoll Fahrgäste steigt in den blauen 2-Etagen-Bus mit dem gelb gekleideten Männchen. Nachdem ich oben in der ersten Reihe Platz genommen habe, um die beste Sicht zu genießen, setzt sich ein anderer Fahrgast asiatischer Herkunft auf die andere Seite und hat vermutlich dieselbe Absicht. Neugierig inspiziert er seinen Sitzplatz und kämpft schließlich mit dem sich nicht wieder aufrollenden Rollo. Da auch meine Unterstützung nicht zum Erfolg führt, rufen wir den Busfahrer, welcher das Problem freundlich behebt. Als sich der Bus in Bewegung setzt, erzählt mir der jugendliche Südkoreaner auf Nachfrage von seiner Städtereise durch Europa und die große Freude, an einigen Fußballspielen namhafter Vereine live dabei zu sein. Die Busfahrt verläuft angenehm ruhig und da mir mehrere Sitze zur Verfügung stehen, kann ich in liegender Position bequem schlafen. Nachdem gegen 1 Uhr in Brüssel weitere Fahrgäste zusteigen, erreichen wir um 5:30 Uhr die französische Hauptstadt eine halbe Stunde früher als geplant. Ziemlich orientierungslos irre ich in der Pariser Dunkelheit umher und bereue mir vorher keine Notizen zur räumlichen Lage gemacht zu haben. Da ich mich um 21:30 Uhr wieder an dem Busbahnhof Quai De Seine Arret eingefunden haben muss, merke ich mir die großen leuchtenden Buchstaben des 'Apollo'-Hotels sowie die an den Busbahnhof angrenzende AccorHotels Arena. Ich spaziere am rechten Ufer der Seine entlang und überquere den Fluss bei der ersten Gelegenheit über die Pont de Bercy, um am linken Ufer weiterzugehen. Angekommen an der Pont Charles de Gaulle entscheide ich mich für eine Rast im nahe gelegenen Bahnhof Gare d'Austerlitz. Während ich frühstücke und mich anhand einer Informationstafel in der Metropole zu orientieren versuche, kann sich mein Rücken vom etwa 15 kg schweren Gepäck erholen. Gestärkt begebe ich mich wieder ins Freie und schaue wenige Hundert Meter weiter durch den Zaun des Botanischen Gartens, auf dessen Gelände sich auch das Naturkundemuseum befindet. Ein Besuch ist leider nicht möglich, da es noch sehr früh ist. Ich überquere die Pont d'Austerlitz und erreiche die Place de la Bastille mit der in der Platzmitte befindlichen 52 m hohen kupfernen Julisäule, welche an die Julirevolution im Jahre 1830 erinnert.
Julisäule
Notre-Dame
Notre-Dame
Notre-Dame
Auf dem Weg zur Notre-Dame ist es zum Glück trocken. Ich schlendere durch eine Bebauung aus Sandstein und sehe Obdachlose, die in den Hauseingängen oder auf den Gehwegen schlafen. Viele Läufer sind in den frühen Morgenstunden unterwegs. Wie es der Zufall will, erreiche ich fünf Minuten vor Öffnung um 7:40 Uhr Notre-Dame. Sehr enttäuscht bin ich, als man mir aufgrund meines großen Rucksacks aus Sicherheitsgründen den Eintritt verwehrt. An den Brückengeländern und sonstigen Zäunen hängen unzählige Schlösser von Liebespaaren. In Sichtweite der Kathedrale mache ich in einem kleinen Park erneut Rast. Am Square Jean XXIII, einem Park hinter der Notre-Dame, blüht bereits der Flieder. An einer Parkbank informiert ein Schild über kostenloses WLAN, wie es auch an vielen anderen öffentlichen Plätzen der Stadt der Fall ist. Durch viele Platanen- und Kastanienalleen spazierend, treffe ich auf eine Fußgängerin, die sich plötzlich bückt und einen Ring aufhebt. Diesen will sie mir schenken, indem sie ihn mir in die Hand drückt. Ich bin sofort skeptisch, denke an einen möglichen Trickbetrug und lehne das seltsame Geschenk ab. Nachdem die Frau anfangs noch darauf beharrt, mir den Ring zu schenken, behält sie ihn dann doch und ich bin um eine skurrile Erfahrung reicher. Nach einem kleinen Einkauf werde ich von einer Freiwilligen des Französischen Roten Kreuzes in ein kurzes Gespräch verwickelt. Freundlich verabschiede ich mich und passiere schließlich das Gelände des Louvre, gemessen an der Ausstellungsfläche das drittgrößte Museum weltweit. Da sich das Wetter hält und ich mir noch möglichst viel von der Stadt ansehen möchte, entscheide ich mich gegen einen Museumsbesuch und begebe mich in den Jardin des Tuileries, der sich direkt neben dem Louvre befindet.
Tuileriengarten, im Hintergrund der Louvre
Interessiert beobachte ich, wie ein Gärtner mit seinem Rasentraktor Löcher in die Grünfläche sticht. Das sogenannte Aerifizieren dient einer besseren Bodenbelüftung. In dem barocken Tuileriengarten stehen überall Stühle, die man frei im Park herumtragen kann und zum Verweilen einladen. Im Westen schließt sich an den Park die Place de la Concorde an, der Platz der Eintracht. Schon von Weitem ist das Roue de Paris, das größte mobile Riesenrad der Welt, sichtbar. 42 Gondeln gewähren in 70 Metern Höhe einen herrlichen Blick über die Stadt. Auf dem Weg zum Eiffelturm treffe ich auf das Reiterdenkmal des Unabhängigkeitskämpfers Simón Bolívar, wundere mich über den hiesigen Standort und rufe meine Kenntnisse über den Nationalhelden vieler südamerikanischer Länder in Erinnerung.
Seine und Eiffelturm
Ich schlendere weiter am rechten Seineufer entlang und stehe nach dem Überqueren der Pont d’Iéna direkt vor la tour Eiffel, dem 324 Meter hohen Eiffelturm. Massen an Touristen stehen an, um in einen der Aufzüge zu steigen und vom höchsten Bauwerk der Stadt zu schauen. Ich bleibe lieber auf dem Boden und beobachte zum wiederholten Male an diesem Tag Gruppen von Frauen und Mädchen, wie sie mit den Worten "Do you speak english?" auf Beutefang gehen. Es läuft folgendermaßen ab: Sobald ein Tourist die Frage bejaht, wird ihm ein Zettel gezeigt, auf dem es beispielsweise um einen Krankheitsfall in der Familie oder eine Petition geht. Während eine Frau den ahnungslosen Touristen zu einer guten Tat in Form einer Spende oder Unterschrift zu überzeugen versucht, versuchen ihre Komplizinnen sich am Rucksack des Opfers zu schaffen zu machen. Ich selbst wurde am Vormittag von jungen Mädchen - vermutlich Sinti oder Roma - angesprochen, antwortete ehrlicherweise mit einem "Ja", doch winkte ich zügig ab, da mir die Sache nicht geheuer war. Hier am Eiffelturm ist die Polizeipräsenz besonders groß. Ein paar Schritte von mir entfernt sitzen Kräfte der Gendarmerie auf dem Pferderücken, um die weiblichen Trickbetrüger und Kleinkriminellen vom touristischen Hotspot zu verscheuchen. Ich überquere erneut die Pont d’Iéna, um einen Blick auf die Champs-Élysées zu werfen. Am westlichen Ende der Prachtstraße sehe ich den Arc de Triomphe. Gestärkt mit einem doppelten Hotdog begebe ich mich auf den Rückweg. Das Wetter lässt nach. Schon nach einigen Minuten Sitzen im Tuileriengarten ist mir kalt und es fallen hin und wieder Schauer. Während die meisten der grünen Holzkästen, die an der Ufermauer der Seine hängen, am Vormittag verschlossen waren, ist eine Vielzahl von ihnen nun geöffnet. Das Angebot der Händler auf dem kilometerlangen Basar reicht von Büchern und Comics bis Postkarten und sonstigen Souvernirs. Ich kann wiederstehen, trage ich doch schon genug Gepäck mit mir rum. Im Bahnhof Gare d'Austerlitz ruhe ich mich ein wenig aus. Mir fällt auf, dass hier eine besonders große Zahl dunkelhäutiger Menschen unterwegs ist. Zwischen den Stuhlreihen zieht eine einfüßige Taube meinen Blick auf sich. Als sich die Wolken verziehen, drehe ich im Botanischen Garten meine Runden, lege mich auf eine Bank in der Platanen-Allee und genieße die Sonnenstrahlen. Nach dem Kauf von ein wenig Proviant und einem Fastfood-Abendessen suche ich den Ausgangspunkt meiner Pariserkundung auf, um den Bus nach Barcelona zu erwischen.
Botanischer Garten, im Hintergrund das Naturkundemuseum
Barcelona

Vorausschauend suche ich am Busbahnhof Quai De Seine Arret die Toilette auf, die so anmutet, als ob ein Erdbeben und ein Hochwasser hier gleichzeitig gewütet hätten. Ich verstaue meinen Rucksack im Laderaum des Busses, präsentiere dem Busfahrer mein Ticket und suche einen freien Platz im bereits gut gefüllten Bus. Neben mir nimmt schließlich eine junge Französin Platz. Carmelia stammt gebürtig aus Toulouse und studiert im Nordwesten des Landes unter anderem Spanisch. Mit dem Bus wird sie weiter nach Madrid fahren, um von dort nach Quito zu fliegen. In Ecuador möchte sie ein halbes Jahr verbringen. Das Interesse für Südamerika verbindet uns und wir unterhalten uns gut. Die Busfahrt vergeht wie im Flug und wir erreichen die katalanische Hauptstadt pünktlich zur Mittagszeit. Da sich Carmelia in Barcelona ein wenig auskennt und bereits ein Bett in einem im Zentrum gelegenen Hostel reserviert hat, begleite ich sie. Unweit der La Rambla, einer ca. 1,2 km langen Flaniermeile im Zentrum, finden wir schließlich das in einem Innenhof gelegene Kabul Backpackers Hostel und auch ich erhalte für 12,72 Euro einen Schlafplatz für die Nacht. Begeistert stelle ich fest, dass zu jedem Bett ein geräumiger Tresor gehört, sodass sich mein großer Rucksack bequem verstauen lässt. Gemeinsam mit Carmelia begebe ich mich auf Entdeckungstour durch die zweitgrößte Stadt Spaniens. Dem sich mittlerweile eingestellten Hungergefühl begegnen wir sofort mit einem leckeren Bocadillo de tortilla. Auf der La Rambla-Promenade tummeln sich viele Menschen. Künstler bieten den Touristen das Zeichnen von Karikaturen-Porträts an. Carmelia erzählt mir, dass sie trotz einiger Barcelona-Besuche noch nie im Park Güell war. Heute möchte sie diesen gern besichtigen. Ich hatte auch schon von diesem Park gehört und schließe mich ihr an. Bei dem herrlichen Wetter verzichten wir auf die Metro und machen uns zu Fuß auf den Weg zu der im Norden der Stadt gelegenen und von Antoni Gaudí Anfang des 20. Jahrhunderts erschaffenen Parkanlage. Unterwegs verweilen wir kurz vor der farbenreichen Fassade der Casa Battló, ebenfalls ein Werk Gaudís.
Casa Battló
Aussicht auf Barcelona vom Park Güell
Nachdem wir über zahlreiche Treppenstufen in den bebauten Bereich des hoch über der Stadt gelegenen Parks Güell gelangen, verweilen wir eine Weile zwischen Palmen, Korniferen und Oleander und genießen einen großartigen Blick über die katalanische Metropole. Carmelia beschließt an einer Führung durch das Gelände teilzunehmen und so verabschieden wir uns, da ich mir die Innenstadt etwas genauer ansehen möchte. Ich suche die Kathedrale in der Altstadt, den Arc de Triomf sowie die Kathedrale Sagrada Familia auf. Das Klima ist sehr angenehm. Auf der großzügigen Promenade sind viele sportliche Menschen unterwegs, laufen, fahren Skateboard oder Inliner. Im Hostelzimmer angekommen, besteige ich schließlich das obere Etagenbett, ziehe den Vorhang zu und hoffe, dass sich seitens meiner scheinbar aus Osteuropa stammenden Zimmergenossen möglichst bald Ruhe einstellt.
Arc de Triomf
Sagrada Familia
Zaragoza

Nach einem kurzen Frühstück eile ich zur Estación de autobuses Barcelona Nord und erwische meinen 9:30 Uhr-Bus nach Zaragoza. Die dreieinhalbstündige Fahrt in die Hauptstadt Aragoniens endet zwar pünktlich, doch befindet sich die Estación Intermodal Delicias ziemlich weit außerhalb des Zentrums. An der bahnhofseigenen Touristeninformation erhalte ich im Austausch für die Angabe meiner Nationalität freundlich und in nicht fehlerfreiem Deutsch Auskunft über den lokalen Busfahrplan. Außerdem markiert die sympathische Dame die besonders lohnenswerten Sehenswürdigkeiten auf einer Karte. In dem Stadtpalast, der Aljafería, findet heute irgendeine wichtige Tagung statt, sodass ich das einzige erhaltene Bauwerk aus der maurischen Epoche Zaragozas nicht besichtigen kann. Nachdem ich den Bus im Zentrum verlasse, irre ich trotz Karte ein wenig umher und stehe schließlich vor dem Wahrzeichen Zaragozas, der Basilika de Nuestra Señora del Pilar. Sie stellt die größte Barockkirche Spaniens dar. Auf dem Vorplatz besichtige ich das Denkmal des spanischen Malers und Grafikers Francisco de Goya. Anschließend spaziere ich am Goya-Museum vorbei. Auf einen Besuch verzichte ich. Um ein schönes Foto von der gesamten Wallfahrtskirche zu machen, begebe ich mich zum Ebro-Fluss und die über den zweitlängsten Fluss Spaniens führende Puente de Piedra. Letztere wird durch vier große Bronzelöwen geschmückt, durch welche das steinerne Bauwerk aus spätgotischer Zeit auch den Namen 'Brücke der Löwen' trägt. Ich spaziere weiter den Ebro entlang und gelange an die Puente de Santiago. Wie passend, denke ich, bin ich also auf dem richtigen Weg. Vorbei an Ruinen der einstigen römischen Stadtmauer stehe ich plötzlich vor der Statue des römischen Kaisers Augustus, der auf dem Gebiet der iberischen Siedlung Salduba 14 v. Chr. die Colonia Caesaraugusta gründete. In einem kleinen Café gönne ich mir zwei Bocadillos de Tortilla und fahre zurück zum Busbahnhof, um den Bus nach Madrid zu bekommen.
Puente de Piedra
Basilika de Nuestra Señora de Pilar
Statue Caesar Augustus
Madrid Lissabon

Mit vielen interessanten Eindrücken steige ich gegen 17 Uhr in den Bus des Unternehmens ALSA und staune über den vorhandenen Komfort. Jeder Sitzplatz ist mit einem eigenen Monitor ausgestattet, üben welchen u.a. zahlreiche Filme geschaut werden können. Spontan entscheide ich mich für einen Streifen aus der Planet der Affen-Reihe, werde allerdings schnell müde und betreibe schließlich ausgiebig Augenpflege. Letztendlich wechsele ich während der vierstündige Fahrt kein einziges Wort mit meiner Sitznachbarin. In der spanischen Hauptstadt steige ich an der Estación de autobuses de Madrid (Intercambiador de Avenida de América) aus. Hier habe ich lediglich eineinhalb Stunden Aufenthalt, bevor es weiter nach Lissabon geht. Eine Besichtigung der Innenstadt lohnt nicht. Vorübergehend passe ich auf die zahlreichen Gepäckstücke einer Afrikanerin auf. Da ich des Portugiesischen kaum mächtig bin, verstehe ich nur wenig, was die alte Frau sagt. Offensichtlich kommt sie gerade von ihrem alljährlichen Besuch ihrer Kinder und ist nun wieder – über Lissabon – auf dem Heimweg nach Kap Verde. Nachdem der Bus eingetroffen und das Gepäck verstaut ist, nehme ich gemäß meiner Reservierung auf dem Sitz mit der Nummer 32 Platz und freue mich über die Beinfreiheit. Es handelt sich um Reihe unmittelbar hinter der Tür in der Busmitte. Neben mich ans Fenster setzt sich wenig später eine US-Amerikanerin, die seit einigen Monaten Englisch-Unterricht an einer Madrider Schule gibt und nun die portugiesische Hauptstadt besuchen möchte. Laut Plan wird der Bus gegen 7:30 Uhr portugiesischer Zeit in Lissabon eintreffen, sodass die Nachtfahrt etwa neun Stunden dauert. Mit gedimmtem Licht und einer sympathischen Sitznachbarin sollte die Zeit schnell vergehen. Der Bus scheint gut durchgekommen zu sein, denn wir erreichen unser Ziel deutlich früher, bereits vor 6 Uhr. Ich krame meinen Rucksack aus dem Laderaum ins Freie und irre auf dem Gelände des Estação do Oriente in der Dunkelheit umher. Ich weiß, dass eine Jugendherberge nördlich des Ostbahnhofes liegt und versuche mich zu orientieren. Ich gehe auf gut Glück dorthin, denn eine Reservierung habe ich nicht. Schließlich begebe ich mich auf den richtigen Weg und klingele bei der vermeintlichen Jugendherberge. Der Pförtner teilt mir mit, dass ich hier falsch sei, da es sich um eine Art Sportheim handelt und schickt mich eine Straße weiter. Jetzt bin ich tatsächlich richtig, denn ich sehe den Schriftzug „Pousada de Juventud“. Als ich den hiesigen Pförtner an die Glastür treten sehe, kann ich es kaum abwarten, mich in ein Bett zu werfen. Der Pförtner sagt mir, dass die Jugendherberge erst um 8 Uhr öffnet und er mich vorher nicht reinlassen könne. Toll, denke ich, muss ich noch mehr als eine Stunde draußen warten. Ich gehe ein paar Schritte weiter zu einer Bahnhaltestelle, setze mich auf eine Bank und beobachte die Handvoll Menschen, die auf ihren Zug warten. Pünktlich stehe ich 7:45 Uhr erneut vor der Jugendherberge. Man lässt mich hinein und meint, dass ich auf die Rezeptionistin warten müsse. Punkt 8 Uhr erscheint sie und ich gebe ihr ein paar Minuten, um sich an ihrem Platz zu organisieren. Etwas mehr Freundlichkeit hätte ich erwartet, als ich zu ihr trete und um ein Bett bitte. In kühlem Ton erwidert sie, dass es noch freie Betten gebe. Ich bin sehr froh darüber, kann allerdings erst am Nachmittag ins Mehrbettzimmer, da es gerade belegt ist und am Nachmittag gereinigt wird. Na super, werde ich mich also draußen irgendwo auf eine Parkbank schmeißen müssen. Ich deponiere meinen Rucksack in einem hinter der Rezeption befindlichen Raum, ziehe mich um und mache mich auf den Weg zum Wasser, um zu sehen, wo ich zwei Tage später meinen Camino starte. Ich hatte diese Jugendherberge gewählt, weil sie sich im Norden Lissabons und außerhalb des Zentrums befindet. Während die meisten Pilger an der Kathedrale Sé im Stadtzentrum starten, brauche ich am Sonntag nicht allzu früh zu starten. Nach etwa zehn Minuten erreiche ich den mit über 1000 km längsten Fluss der Iberischen Halbinsel, den Tejo, der hier im Osten Lissabons eher einem großen See gleicht. Sofort erblicke ich die Ponte Vasco da Gama. Sie ist mit über 17 km die längste Brücke Europas. Die Promenade scheint der ideale Ort für Frühsport zu sein. Ich begegne mehreren Läufern und auf den Grünflächen stehen Sportgeräte, die Jung und Alt zum Schwitzen bringen. Unter den auf der Promenade gepflanzten Kiefern kommen mir einige Pilger entgegen. Vermutlich sind sie so um die 60 Jahre alt. Ohne wirkliche Orientierung irre ich in Richtung Zentrum. Später werde ich bereuen, die Sehenswürdigkeiten - Castelo de São Jorge, Praça de D. Pedro IV, Catedral Sé Patriarcal, Botanischer Garten - mit meinen Trekkingsandalen erkundet zu haben, denn bei den hohen Temperaturen am heutigen Tag laufe ich mir an beiden Füßen Blasen.
Ponte Vasco da Gama
Ponte Vasco da Gama
Promenade
Castelo de São Jorge
Catedral Sé Patriarcal
Internationale Fahnen auf Expo 98-Areal
Lissabon

Zum Frühstück begebe ich mich in den Speisesaal. Da die Weizenbrötchen sehr soft und wenig sättigend sind, bediene ich mich mehrmals. Dazu gibt es unterschiedlichen Aufschnitt und Joghurt. An der Rezeption erkundige ich mich nach der Outdoormarke 'Quechua' bzw. dem Sportgeschäft 'Decathlon'. Ich möchte mir eine Isomatte kaufen für den Fall, dass in einer Herberge mal kein freies Bett zur Verfügung steht. Die Rezeptionistin verweist auf den ziemlich weit entfernten Stadtteil Alfagide. Ich verschiebe die Busfahrt dorthin auf den Nachmittag und gehe mit leichtem Sonnenbrand im Nacken erneut zur Promenade. Im nahe gelegenen Einkaufszentrum 'Vasco da Gama' kaufe ich im 'Continente' Sonnencreme, Wasser und Mittagessen-to-go. Ich staune über die große Menge gesalzenen Bacalhau's (Kabeljau) vor der Kühltheke. Vor dem Shopping-Center hängen die Fahnen der an der Expo 98 beteiligten Länder. Ich steige in den Bus nach Alfagide. Der Busfahrer ist unfreundlich, aber ich komme mit anderen Mitfahrern ins Gespräch, die mir die entsprechende Haltestelle nennen. 'Quechua' ist eine Eigenmarke von 'Decathlon' und sehr günstig. Letztendlich entscheide ich mich jedoch für eine Isomatte von Therma-Rest, da sie hochwertiger wirkt und reduziert angeboten wird. Die Suche nach der Haltestelle für die Rückfahrt gestaltet sich als schwierig. Wäre ich meinem ersten Gedanken gefolgt, hätte ich gut eine Stunde gespart, in der ich umhergeirrt bin. Aus dem Bus schauend, entdecke ich viele Orangenbäume und frage mich, warum die Früchte nicht geerntet werden. Offensichtlich ist die Frucht hier so alltäglich wie bei uns der Apfel, der oftmals kaum beachtet wird. Ich kaufe erneut im 'Continente' ein, da morgen Sonntag ist. Nach der Dusche treffe ich in meinem Zimmer auf Joaquín aus Spanien. Sofort entdecke ich seinen Wanderstab. Für den etwa 60-Jahre alten Mann ist der Camino Portugués bereits der elfte Camino, sodass er mir viele Tipps geben kann. So rät er mir zu einem ruhigen, nicht zu ambitionierten Start und empfiehlt mir einen Wanderstab zum Schutz vor perros abandonados (freilaufenden Hunden). Wir sprechen über das Kennenlernen des Körpers, wie etwa Muskeln, die man noch nie nutzte und welche sich auf dem Weg bemerkbar machen werden. Anschließend informiert er mich darüber, dass er Schnarcher ist, hält mir eine von einem Arzt ausgestellte Bescheinigung über eine Erkrankung des Rachenraumes hin und bietet mir Oropax an. Ich habe allerdings keine Lust auf eine weitere unruhige Nacht und erkundige mich an der Rezeption nach einem alternativen Bett. Meine Anfrage wird bejaht, sodass ich mich mit Joaquín für den nächsten Morgen verabrede und mich im Nachbarzimmer einquartiere. Pablo aus Porto ist noch wach. Er erzählt mir vom portugiesischen Norden, der dem Mittelmeerraum ähnelt, dem ruhigen Landesinneren und der von Araber-Einfluss und Fischerdörfern gekennzeichneten Algarve. Laut Pablo wird in Lisboa bestimmt, in Porto gearbeitet, in Braga gebetet und in Coimbra studiert. Im Vergleich zu den Deutschen wissen die Portugiesen zu leben, arbeiten wenig und seien deswegen rückständig. Er ist schon viel herumgekommen und erinnert sich an eine Zugfahrt über die Grenze Österreich/Ungarn, bei der er bemerkt, wie strenge landwirtschaftliche Feldformen von asymmetrischen Feldern abgelöst werden. Zum Schluss kommen wir auf den Camino zu sprechen. Pablo meint, dass mir viele portugiesische Pilger entgegenkommen werden, die bis zum 13.5. nach Fátima, dem bedeutendsten Wallfahrtsort Portugals, unterwegs sind.

> 25./30.-IV-'16 <

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